Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
handeln können, nicht nur erdulden.
Ich fange wieder an, mit Andrea zu scherzen, wir gönnen uns ein Eis. Man strauchelt, und anschließend versucht man, auf dem dünnen Seil sein Gleichgewicht wiederzufinden. Andere, bequemere Wege stehen leider nicht zur Wahl.
Als wir am späten Nachmittag in Ilhéus ankommen, beschließen wir, das Auto auf Hochglanz zu bringen. Wir vertrauen es einer Bande Straßenkinder an. Sie arbeiten, als polierten sie einen heiligen Stein, lachen und schubsen sich, spucken auf den Lappen, bevor sie über die Scheinwerfer wischen, und hoffen, dass ich es nicht sehe. Zum Schluss funkelt das Auto wie neu.
Hier war einst das Reich des Kakaos.
Mit unserer blitzblanken Karosse fühlen wir uns, als ob wir die Botschafter aller Schokoladenesser Europas wären.
Ich gehe über den Hauptplatz, schwenke die Arme und spreche Zauberwörter wie »Milchschokolade«, »Nussschokolade«, »Nougat«. Andrea umarmt sich selbst voll wilder Vorfreude: auf Schokoladenfabriken und Schiffe, beladen mit Schokoladentafeln wie mit Goldbarren. Ich zeichne Ostereier in die Luft, die großen, die eine Überraschung enthalten – wie die blaue Raupe, die aus einem Superei aus zartbitterer Schokolade herausgekommen war –, dann die kleinen Schokoeier, die Andrea so gern auf der Zunge zergehen lässt, dann die Goldmünzen, die er nie auswickeln möchte, die Röhrchen mit den Smarties, die er runterschluckt wie eine Pythonschlange. Denn von Schokolade lässt er sich seit je gern verführen.
Die alte Bar Vesuvio ist mit Fotos tapeziert, die an die glorreiche Geschichte des Kakaos erinnern und an Jorge Amado, der hier gelebt hat. An einem Marmortisch im Freien sitzt eine Statue des Schriftstellers, wie ein Gast.
»Andre, das ist Jorge.«
»Jorge schön.«
Einen Moment bin ich versucht klarzustellen, dass der hier nicht der Jorge ist, den wir in der elenden Hütte in Costa Rica zurückgelassen haben. Aber das ist natürlich vollkommen unnötig: Andrea wird sich noch lange in allen Einzelheiten an jenen Tag erinnern.
Wir sitzen da wie drei Stammgäste, Amado ist allerdings nicht sehr gesprächig. Andrea lehnt sich an seine Schulter, sie wirken sehr vertraut, irgendwann sind sie sogar Wange an Wange.
»Möchtest du Amado was sagen?«
»Ruhe haben.«
Arraial d’Ajuda
Drei gleiche Antworten ergeben eine Gewissheit: Wir fragen, und unterschiedliche Personen stimmen darin überein, dass es nicht mehr weit bis Arraial ist.
Die Landschaft entlang der Straße ist genau so, wie sie uns der Mann in Ilhéus beschrieben hat: Ihr werdet an einem großen Lastwagen vorbeikommen, der seit Jahren dort verrottet, an Baracken mit kleinen bunten Fähnchen rundherum, an Kuhherden, die auch mal die Fahrbahn überqueren, ohne dass die Viehhüter sich darum kümmern, an Straußengehegen und großen Plakaten, die eines der wichtigsten Ziele der Regierung in dieser Region verkünden: Strom für alle. Wirklich, der Mann aus Ilhéus hat ein hervorragendes visuelles Gedächtnis. Zu dumm nur, dass er sich nicht erinnern konnte, in den letzten Monaten Roxana begegnet zu sein.
Wir lassen das Städtchen Porto Seguro hinter uns, wo wir über einen Fluss setzen müssen, um nach Arraial weiterzufahren. Die Fähre ist ein großes Floß, das etwa zwanzig Autos pro Fahrt transportieren kann. Es geht zu wie auf einem Marktplatz: Man hört Musik, es wird getanzt, Kokos- und Zigarettenverkäufer preisen ihre Ware an. Manche Leute, die mit uns an Bord gegangen sind, steigen auf der anderen Seite gar nicht aus, sondern lassen sich weiter zwischen den Ufern hin- und herschaukeln und genießen so den Tag.
Die Autos rollen vorsichtig an Land, Reifen für Reifen, und es gibt jede Menge Zwischenfälle: Ein Lieferwagen qualmt wie ein Dampftopf, plaudernde Damen bilden unüberwindliche Hindernisse, dann Knirschen und Knarren, aufheulendes Getriebe und dann wieder die üblichen Schlaglöcher. Langsam nähern wir uns Arraial.
Wir suchen irgendein Zeichen, das uns weiterhilft. Und was sehen wir? Ein orangefarbenes Schild mit der Aufschrift »Italia«, darunter ein Mann in einem Strohsessel. Ich bremse. Das kann kein Zufall sein.
»Senhor«, frage ich, »was bedeutet dieses Schild?«
»Dass ich Italien mag«, erwidert der Mann und mustert mich aufmerksam. »Seid ihr Italiener?« Und ohne die Antwort abzuwarten, ruft er strahlend: »Willkommen in Arraial.«
Er steht auf: ein Hüne von einem Mann, braungebrannt wie ein Fischer von der Algarve. »Schickt euch
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