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Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)

Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)

Titel: Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fulvio Ervas
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schmecke aber fast nichts.
    »Weißt du, Odisseu, bei manchen Menschen hat das Leben im letzten Augenblick etwas durcheinandergebracht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es hat ein Komma übersehen oder einen Punkt gesetzt, wo keiner hätte sein dürfen. Hat ein Auge vergessen, ein Ohr, ein bisschen Gehirn, eine Hand. Es war verwirrt und hat einen Millimeter zu früh angehalten. Geringe Versäumnisse, gemessen an all den Verpflichtungen, die das Leben so hat.«
    »Tja.«
    »Weißt du, wovon ich träume?«
    »Nein.«
    »Von einer Steuer. Die gesamte Menschheit besteuert sich selber, um mit den Verirrungen des Lebens fertigzuwerden. Da geht es nicht um Geld, sondern um Anstand. Denn es hätte jeden treffen können, es ist eine Lotterie, bloß dass wir keinen Gewinn, sondern einen Verlust teilen müssen. Wer einen Gewinn gemacht hat, soll ihn genießen, das ist in Ordnung, doch den Verlust sollten wir alle miteinander tragen.«
    »Das ist ein Traum.«
    »Du meinst, er lässt sich nicht verwirklichen?«
    Odisseu greift zu der Flasche Cachaça, fixiert sie, als wartete er auf ihr Einverständnis, und nimmt dann einen tiefen Schluck.
    »Ich weiß nicht.«
    »Ist das so undenkbar?«, hake ich nach.
    »Es liegt wohl nicht in unserer Hand.«
    Auf der Veranda entsteht Bewegung: Andrea und Angelica setzen sich für einige Minuten eng umschlungen hin und gehen dann wieder hinein. Kurz darauf stürmt Andrea heraus und rennt in unsere Richtung. Ich möchte ihm zurufen, dass nichts geschehen muss, wenn er es nicht will. Ich möchte ihm sagen, dass er stark ist, möchte ihm Vertrauen einflößen. Aber ich flüstere nur ganz leise, dass ich ihn liebhabe.
    Andrea läuft an dem Mäuerchen vorbei, ohne uns zu sehen, bleibt ein paar Meter weiter stehen, dreht sich um, hebt den Arm, berührt den Mond, läuft zurück. Angelica ist auf der Veranda und schaut zu.
    Herrgott, Andre, was für eine Nacht dich erwartet… und was für eine Nacht ich vor mir habe. Ich bin so unbeschreiblich aufgeregt wie nicht einmal bei meinem eigenen ersten Mal!
    Ein Licht flammt auf und erlischt wieder. Nichts mehr. Daraufhin vergesse ich alles, was ich je über Autismus erfahren und gelernt habe, denn man informiert sich ja, man versucht zu verstehen, Erfahrungen auszutauschen, man hofft, dass die Welt sich schneller dreht, dass alle Wissenschaftler der Welt eifrig forschen und dass das Leben eines Tages an der Türe läutet und einem irgendeine Lösung überreicht. Hier genügt jetzt aber ein wenig Stille, ein wenig Illusion, damit das Herz einen Augenblick ruhiger schlagen kann.
    Wir lehnen uns mit dem Rücken an das Mäuerchen, trinken Bier und Cachaça, ohne Rücksicht auf Verluste. Es weht ein herrlicher Wind.
    Gute Nacht, Andre. Gute Reise.

Der Brief
     
    Odisseu war gegen das Mäuerchen gesunken und eingeschlafen; beim Aufwachen wollte er nur noch nach Hause. »Kommst du mit?«, brummte er. Ich bin wortlos aufgestanden, habe ihm zugewinkt und bin so leise wie möglich in Joanas Haus hineingegangen. Dunkelheit und Stille. Rasch bin ich in mein Zimmer geschlüpft. Mit einer kleinen Taschenlampe habe ich Joanas Brief auf dem Nachttisch beleuchtet. Den Rest der Nacht habe ich damit zugebracht, die letzten Papierfetzchen einzukleben. Und folgende Zeilen zu lesen:
    Liebe Roxana,
    wer weiß, wie oft Du zu hören bekommen hast, dass Du aus einer Unglücksfamilie stammst, in der es nur Frauen ohne Männer gibt. Nun, auf den ersten Blick könnte es so aussehen. Deine Urgroßmutter hat, als sie sich selbst nicht mehr gefiel, niemanden mehr sehen wollen und sich im Haus eingeschlossen. Deine Mutter hat nur einen einzigen Mann gewollt, auch wenn es der Falsche war, und ich selbst habe zu viele Geliebte gehabt, von denen ich mich nicht trennen konnte. Doch das hat nichts mit Unglück oder Pech oder Einsamkeit zu tun. Pech hast Du, wenn Du stolperst und deshalb den Bus versäumst oder wenn Dir ein Ast auf den Kopf fällt. Wenn wichtige Sachen passieren, auch solche, die Dir weh tun, dann ist es nicht Pech, sondern Dein Leben, und Du musst nur herausfinden, wie Du möglichst gut weitermachen kannst. Und was die Einsamkeit betrifft, so lass Dich nicht von dem Wort erschrecken. Eine Frau, die allein ist, muss nicht zwangsläufig unter Einsamkeit leiden, das war nie mein Problem, denn Du kannst immer ein Fenster öffnen und saubere Luft atmen, eine Katze auf dem Sims beobachten, Dir übers Haar streicheln, mit offenen Augen von einer Welt träumen, die Deinen Wünschen

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