Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
Kanadierin, eine Freundin seiner Mutter. Bevor sie uns das Haus zeigen, führen sie uns an den Rand der Klippe, damit wir die Aussicht genießen; die Weite ist berauschend, wir könnten schwören, dass wir Südafrika sehen.
Ein seltsames Gefühl für mich, ohne Andrea hier zu sein und mich ganz zwanglos ein wenig gehenzulassen.
Donald fühlt sich sichtlich wohl unter den Leuten in der Villa; ich fange an, auf die Uhr zu sehen, rechne aus, wie lange wir gebraucht haben, um hierherzukommen, und schätze, dass wir bald wieder aufbrechen müssen. Doch Donald denkt offenbar überhaupt nicht daran. Ständig schneidet er neue Themen an, und als die Dame des Hauses uns anbietet, über Nacht zu bleiben, breitet er die Arme aus, als wollte er sagen: Nun, wenn es keine Umstände macht…
Da gibt es nur ein kleines Problem, sage ich, mein Sohn ist in Arraial geblieben, und ich möchte ihn nicht allein lassen.
»Wie alt ist er denn?«, fragt die Frau überrascht.
»Siebzehn.«
»Mit siebzehn, mein Lieber, kann man auf die Gesellschaft der Eltern gut verzichten!«
Donald versucht zu schlichten, er merkt, dass die Antwort mich geärgert hat. Die Dame hat natürlich keinen blassen Schimmer von Andreas Situation, ich kann nicht verlangen, dass sie in meinen Gedanken liest oder das Beben in meiner Stimme wahrnimmt. Also ruhig Blut, sage ich mir, sie hat einen Nerv getroffen, nämlich meine Schuldgefühle, weil ich gar nicht hätte herkommen dürfen. »Ich fahre zurück«, sage ich zu Donald.
»Nein, bleibt bei uns«, drängt die Kanadierin. »Nachts sieht man hier die Milchstraße in ihrer ganzen Pracht, es ist, als würde man dem Universum in die Augen schauen. Machen Sie sich keine Sorgen um Ihren Sohn, rufen Sie ihn an, er nimmt es Ihnen bestimmt nicht übel, wenn Sie hier übernachten.«
Anrufen…
Ich wende mich direkt an Donald: »Ich fahre.« Die Gesichter der Anwesenden verraten, wie unhöflich sie mich finden. Donald ist verlegen. Ich nehme meinen Rucksack, entschuldige mich, verabschiede mich.
Als ich aufsteige, geht Donald ebenfalls zu seinem Motorrad, richtet etwas, kontrolliert den Treibstoff. »Warte!«, brüllt er, aber ich bin schon fort.
Ich beschleunige – wäre doch nur das Sträßchen gleich zu Ende und Arraial läge hinter der nächsten Kurve. Aber der Dschungel wird dichter und dunkler, ich versuche mich an die Orientierungspunkte zu halten. Nach etwa fünfzig Kilometern ist mir, als hätte ich mich verirrt. Vor mir fliegen Vögel auf, und die Bäume wirken noch höher als zuvor. Ein Maultierkarren, gelenkt von einem Jungen, weckt Hoffnung; auf meine Frage nach dem Weg nach Arraial zuckt er die Achseln, als wollte er sagen: Nie gehört. Er hält den Karren an, steigt ab, denkt nach, nennt Cumuruxatiba, das ich schon eine Weile hinter mir gelassen habe, und rät mir, dorthin zurückzukehren. Ich frage ihn, auf welcher Seite der Ozean liege, und er weiß es nicht. Er lächelt entschuldigend, er weiß es wirklich nicht.
Ich lehne das Motorrad an einen Baum und blicke mich um. Reglos stehe ich da, sehe nichts und begreife plötzlich eine Menge. Dass diese ganze Hast und Sorge keinen Sinn hat. Wir haben eine endlos lange Reise hinter uns. Wir hätten uns verirren oder irgendwo hängenbleiben können. Aber wir sind hier. An meinen grundlegenden Fragen und den Antworten, die ich jeweils darauf finde, hat sich dadurch nichts geändert.
Ich steige wieder auf und beschließe, mich einfach ohne Angst von meinem Instinkt leiten zu lassen.
Der Nachmittag vergeht rasch, Arraial ist irgendwo.
An der Kreuzung zweier unbefestigter Straßen steht ein Kiosk, ich bestelle etwas zu trinken. Der Mann, der mir die Tasse reicht, kennt Arraial und sagt, ich sei auf dem richtigen Weg, in zwei bis drei Stunden sei ich dort. Ich zahle, erleichtert. Ich bilde mir ein, die Gegend wiederzuerkennen, nach ein paar Kilometern führt die Straße am Meer entlang, ich folge dem Strand wie auf dem Hinweg. Das Flüsschen, das wir durchquert haben, ist angeschwollen, ich traue mich nicht hindurchzufahren. Was soll ich tun? Ein Geräusch. Das Geräusch, das ich auch im Wald immer wieder gehört habe, als verfolgte es mich. Nun zeigt sich, was es war: das Motorrad von Donald, der hinter mir hergefahren ist, um dem rasenden Flüchtling Geleitschutz zu geben.
»Siehst du, was passiert, wenn man mit dem Kopf durch die Wand will? Man muss sich mit den Gezeiten auskennen, sonst kommt einem die Flut in die Quere.«
»Okay. Und
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