Wenn ich in deine Augen seh (Bianca) (German Edition)
nicht ohne Mantel hier draußen rumstehen.“
Sie blickte auf. „Hallo, Ash. Hast du etwas gesehen?“
„Vom Unfall? Nein.“ Er spähte zur Kreuzung. Jesses Pick-up hatte die Fahrerseite eines blauen Honda eingedrückt. Nicht Rachel, sondern der Bäcker Old Joe war betroffen. „Ist Old Joe okay?“
„Das hoffe ich. Wahrscheinlich wird er trotzdem gleich ins Krankenhaus gebracht.“
Ein Sanitäter und zwei Feuerwehrmänner kümmerten sich um Joe, dessen Gesicht blutverschmiert war.
Unverhofft bahnte Rachel sich einen Weg durch die Schaulustigen. Sie trug zwei Pappbecher in den Händen und eine Kamera um den Hals.
Finster starrte Ashford zu ihr hinüber. Verärgerung verdrängte seine Besorgnis. Konnte sie den armen Mann nicht in Ruhe lassen? Musste sie in dieser Sekunde Fotos machen?
Sie steuerte zielstrebig auf Meggie zu und fragte: „Darf ich Joe einen Kaffee geben?“
„Wenn die Mediziner es erlauben.“
Rachel ging zu dem Sanitäter und sprach kurz mit ihm, bevor sie sich zu Joe beugte und ihm einen dampfenden Becher in die Hand drückte.
Die Szene erinnerte Ashford daran, wie sie zwei Tage zuvor geholfen hatte, das Kalb auf die Welt zu holen. Sie war ihm ein Rätsel. Er hätte nie erwartet, dass sie einem Verletzten beistand, anstatt unverzüglich Fotos zu schießen.
Er folgte ihr und fragte: „Kann ich etwas tun?“
„Joe muss zum Arzt.“
„Der Krankenwagen bringt ihn gleich in die Klinik.“
Sie beobachtete, wie Joe zur Ambulanz geführt wurde. „Und genau das ist das Problem. Er befürchtet, dass man ihn dort behält und er seine Bäckerei schließen muss. Hören Sie, ich muss leider gehen. Shaw will Fotos von mir.“
„Jetzt sofort? Kann das nicht warten, bis Joe weggebracht wurde?“
„Ihm ist klar, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene.“
Verständnislos starrte Ashford sie an. Wie konnte sie sich in einem Moment so besorgt um den alten Mann geben und im nächsten so berechnend sein und ignorieren, dass dessen ganze Existenz auf dem Spiel stand? „Wen kümmert’s, was Ihr Job ist? Joe braucht Unterstützung.“
„Das weiß ich. Ich habe ihm gesagt, dass Shaw Fotos haben will, und die helfen vielleicht der Polizei, den Unfallhergang zu rekonstruieren.“
In diesem Fall muss ich ihr recht geben. Er trat beiseite. „Nun gut.“
Ihr Blick bat ihn um Verständnis. „Ash, bitte …“
„Gehen Sie nur.“
Sie eilte davon und zückte die Kamera.
Er ging zur Ambulanz. „Alles klar, Old Joe?“
„Sag denen, dass ich nicht ins Krankenhaus brauche!“, murrte der alte Mann, obwohl er reglos auf der Trage lag. „Ich kann es mir nicht leisten, den Laden zu schließen.“
„Bestimmt verarzten sie dich bloß und lassen dich gleich wieder gehen“, sagte Ashford aufmunternd. Da er nicht mehr tun konnte, blickte er über die Schulter zu der Frau, die ihn jede Nacht stundenlang wach hielt.
Sie stand bei Shaw Hanson. Dem verkniffenen Zug um ihren Mund nach zu urteilen, war sie nicht besonders zufrieden mit ihrem Boss. Offensichtlich fand ein heftiger Wortwechsel zwischen den beiden statt.
Schließlich drückte sie ihm die Kamera in die Hand, wandte sich abrupt ab und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
Lass sie in Ruhe, ermahnte Ashford sich. Doch das Problem war, dass sie ihm im Kopf herumspukte, seit sie ihm zum ersten Mal unter die Augen gekommen war. Er schlug alle Vernunft in den Wind und lief ihr nach.
Und was willst du tun, wenn du sie einholst? fragte er sich. Sie umarmen? Ihr ihren Kummer wegküssen?
So unrealistisch es auch sein mochte, genau das wollte er tun.
Aufgebracht stürmte Rachel in die Redaktion. Der kleine vollgestopfte Raum, in dem drei Schreibtische standen – ihr eigener, der von Pete und der von Marty –, war unbesetzt.
Gott sei Dank allein! dachte sie, während sie auf ihren Stuhl sank und die Augen schloss.
Pete war auswärts, recherchierte einen Kojotenangriff auf Able Jax’ Land. Eigentlich war es ihre Story. Sie hatte den Anruf von Able entgegengenommen und sich bei ihm angemeldet. Doch Shaw hatte ihr die Geschichte weggenommen und Pete darauf angesetzt.
Wenig später hatte sie die Sirenen gehört, war mit der Kamera auf die Straße gerannt und als Erste auf der Bildfläche erschienen.
Zwei Storys in Folge weggeschnappt von einem Mann, der in einer Fünfzigerjahre-Zeitschleife stecken geblieben war und Frauen immer noch als Heimchen am Herd ansah.
„Was ist da gerade vorgefallen?“
Erschrocken zuckte Rachel zusammen und
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