Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
Einen so schlimmen Fall habe ich bei einer Überlebenden noch nicht oft gesehen.«
Die Staatsanwältin fasste den mutmaßlichen Hergang zusammen. »Kirsten arbeitet für ein Modelabel und sagt, man hätte sie zu der geschlossenen Veranstaltung ins Hotel geschickt, um dort Pete Janson zu treffen und ihn für eine eigene Kollektion zu gewinnen. Janson schlägt ihr vor, mit ihm nach oben zu seinem Agenten zu gehen und vergewaltigt sie dann. Er lässt vorsätzlich die Tür offen stehen, woraufhin andere dazukommen.«
Linda stand auf und bat Ethan herein, der neben Anya Platz nahm.
»Unser Opfer identifiziert die Männer im Zimmer als Pete Janson, Liam McKenzie, Clark Garcia und Vince Dorafino, die alle bereits polizeilich bekannt sind.« Sie konsultierte ihre Unterlagen. »Bei dem fünften Beteiligten handelt es sich dem Anschein nach um Lance Alldridge. Catcher, weißt du Genaueres über sie?«
Er nickte. »Sie werden einsehen, dass ich die Vertraulichkeit wahren muss, aber meinen persönlichen Eindruck kann ich gerne schildern.«
Linda nahm die Brille ab und nickte.
»Janson ist Quarterback und hat ein Ego größer als Texas. Er steht auf Glamour und wird eigentlich nur aktiv, wenn dabei etwas für ihn rausspringt. McKenzie ist Ersatz-Quarterback, riesig, arrogant und hält sich im Umgang mit Frauen für einen echten Gentleman. Alldridge ist ein ziemlich ruhiger Typ, und es überrascht mich, dass er dabei war. Macht eigentlich einen sehr anständigen Eindruck. Garcia und Dorafino sind Nachwuchsspieler, die noch auf der Suche nach ihrem Platz sind und alles machen, was Janson oder McKenzie sagen.«
Das klang, als wären sie noch auf der Highschool.
»Könnte es sein, dass Robert Keller auch dabei war?«, fragte Anya. Schuld- oder Schamgefühle wären eine plausible Erklärung für den Drogenrückfall.
»Die Überdosis von gestern?«, meinte Linda. »Daran habe ich auch schon gedacht, aber alle Tatverdächtigen sind bei den Bombers unter Vertrag.«
»Sollen sich alle an der Vergewaltigung beteiligt haben?«, wollte Ethan wissen.
Linda stützte die Ellenbogen auf den Tisch, das Kinn auf den Handflächen. »Das ist eins der Probleme bei derart gelagerten Fällen. Sie sagt aus, nachdem Janson und McKenzie sie vergewaltigt haben, hätte man ihr den Kopf nach unten gedrückt, und sie habe nicht sehen können, wer hinter ihr gewesen sei. Soweit sie sich erinnert, wurde sie von wenigstens vier Männern vergewaltigt. Sie kann nicht mit letzter Sicherheit sagen, von wem und wem nicht. Was uns vor ein Problem stellt.«
Jeder Strafverteidiger würde die Beweisführung der Staatsanwaltschaft genüsslich zerpflücken. Eine Vielzahl von Argumentationslinien war möglich, von einer fehlerhaften Identifizierung bis zur Unschuld aller Beteiligten. Bestand auch nur der geringste Zweifel, ob Kirsten wirklich von jedem der Männer vergewaltigt worden war, konnte das dazu führen, dass die Geschworenen alle zusammen freisprachen.
»Ich muss versuchen, einen Gruppenprozess anzustrengen, statt sie einzeln vor Gericht zu bringen. So werden die Geschworenen sie von Anfang an als Rudel erleben«, meinte Linda.
»Darf ich mich nach der Spurenlage im Zimmer erkundigen?« Ethan zückte ein Notizbuch. »War die Spurensicherung da?«
Die Staatsanwältin blätterte kurz in der Akte. »Die Anwälte der Beklagten werden das ohnehin schnell genug herausfinden. Was ich sagen kann, ist, dass auf dem Bett, auf dem Kirsten ihrer Aussage nach vergewaltigt wurde, kein Blut gefunden wurde.«
Das konnte Anya angesichts des Rektalrisses auf dem Foto kaum glauben. »Die Rektalverletzung muss beträchtlich geblutet haben. Eine solche Wunde kann über Tage immer wieder aufbrechen. Wenn Sie sagen, auf dem Bett, wonach genau wurde gesucht?«
»Die Polizei rief im Hotel an und sorgte dafür, dass die Zimmer nicht gereinigt würden, ehe sie einträfe, aber man fand auf der Bettwäsche nichts. Keine Körperflüssigkeiten, keine Haare, kein Blut und kein Sperma.« Sie sah noch einmal in den Bericht. »Was man allerdings fand, waren Spuren von Ejakulat auf dem Boden.«
»Und ich wette, wenn sie unter das Laken geschaut hätten, hätten sie auf der ganzen Matratze Samen gefunden«, sagte Ethan. »Es ist ein Hotelbett.«
Dieser Gedanke war Anya unangenehm. Auch sie würde heute Nacht in einem Hotelbett schlafen. Entweder die Sportler hatten das Zimmer selbst gereinigt, oder an Kirstens Geschichte stimmte etwas nicht. Sie achtete darauf, ihren Namen in
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