Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
mit dem Nachdruck und der Autorität einer Frau, die über Vergewaltiger und ihre Verhaltensmuster genauestens Bescheid weiß. »Außerdem ist er verheiratet. Er wusste genau, was er tut.«
»Das sage ich mir ja auch immer wieder.« Kirsten atmete mehrmals tief durch. »Sorry wegen Mom. Sie steht immer noch unter Schock und weiß nicht recht, wie sie mit der Sache umgehen soll. Irgendwie meint sie, ich sei jetzt so etwas wie verdorbene Ware. Deswegen will sie auch nicht, dass mein Freund davon erfährt.« Sie senkte den Blick. »Ich habe ihm noch nichts gesagt, ich weiß nicht wie.«
Kirsten versuchte, mitten in der eigenen Krise auch noch die Mutter und den Freund zu beschützen. Sie war ohne Frage eine starke junge Frau, und das musste sie auch sein, wenn sie die juristischen Tücken eines Prozesses durchstehen wollte.
»Haben Sie oder Ihre Mutter mit einem Therapeuten gesprochen?«, wollte Anya wissen.
»Im Krankenhaus habe ich eine Telefonnummer bekommen.« Kirsten suchte nach ihrer Börse und nahm die Karte heraus. »Ich werde anrufen, sobald Mom sich etwas beruhigt hat. Aber jetzt, wo ich meinen Job verloren habe, weiß ich nicht, wie ich das bezahlen soll.«
Anyas Handy brummte. Ethan Rye rief an. Sie drückte ihn weg und ließ ihn auf die Mailbox sprechen. »Sie sagen, Sie haben Ihren Job verloren ?«
Kirsten rieb sich die Schläfen. »Als ich gestern aus dem Krankenhaus kam, hat Cheree mich gefeuert. Sie sagte, es müssten Stellen abgebaut werden. Ich bin als Letzte dazugekommen, also müsse ich als Erste gehen. Deswegen meine Entscheidung, nach Hause zurückzuziehen. Diese Woche bekomme ich den letzten Gehaltsscheck. Entschuldigen Sie, aber ich habe das alles noch nicht richtig verarbeitet.«
Das überraschte Anya nicht. Die körperlichen Schäden allein hätten genügt, um Kirstens jungen Körper zu überfordern, von den emotionalen Herausforderungen, die sie nun zu bewältigen hatte, gar nicht zu reden.
»Es werden sich Ermittler aus der Spezialeinheit, für die ich arbeite, bei Ihnen melden, lassen Sie sich davon nicht beunruhigen. Es ist wichtig, dass wir alle Fakten kennen, bevor die Männer verhaftet werden. Sollte einer von ihnen irgendeinen Versuch unternehmen, mit Ihnen in Kontakt zu treten, lassen Sie es mich unverzüglich wissen, egal wie früh oder spät es ist.«
Kirsten nickte.
Linda steckte die Mappe, die Kirsten ihr gegeben hatte, in ihre Ledertasche und sah zu Anya hinüber. Wie abgesprochen, würde Anya die medizinischen Fragen unter vier Augen klären.
»Ich bin im Café gegenüber«, sagte Linda und versprach Kirsten, später noch einmal anzurufen, um sich nach ihrem Zustand zu erkundigen.
Anya hatte eine schematische Darstellung des menschlichen Körpers und einen Notizblock mitgebracht. »Ich weiß, dass das nicht leicht ist, aber Sie müssen mir präzise schildern, was sich auf dem Zimmer ereignet hat.«
Die junge Frau wappnete sich und sah auf ihre Hände, als könne sie Kraft aus ihnen schöpfen.
»Ich dachte, wir gehen zu seinem Agenten. Gott, wie dämlich sich das jetzt anhört. Ich ging mit ihm auf das Zimmer, und er rief jemanden an. Ich dachte, er telefoniert mit seinem Agenten. Er zog die Tür zu, klappte aber einen Riegel aus, damit sie nicht ins Schloss fallen konnte. Pete ging ins Bad, und ich rekapitulierte noch einmal meine Strategie. Dann kam er zurück und hatte keine Unterhose mehr an. Also gar nichts. Und er hatte einen … also sein Penis war eindeutig steif.«
»Wie haben Sie reagiert?«
»Ich habe immer wieder gesagt, dass das ein Missverständnis ist. Dass ich ihm nur ein Geschäft unterbreiten will. Irgendwie dachte ich mir, das muss alles ein schlechter Scherz sein.«
Anya konnte sich die Szene lebhaft vorstellen. Eine naive junge Frau, die ihren Auftrag abzuwickeln versucht, und ein Mann, der sie nicht als Menschen, sondern als Sexobjekt betrachtet. Nur dass dieser Mann um ein Vielfaches größer und stärker war und darauf trainiert, unerbittlich alles aus dem Weg zu räumen, was seinen Wünschen im Wege steht. Kirsten hatte keine Chance.
»Aber er hörte gar nicht zu. Als ich sagte, ich hätte ihm ein Geschäft vorzuschlagen, sagte er nur, er hätte da einen eigenen Vorschlag. Als er auf mir lag, bekam ich kaum Luft. Er war so schwer und viel zu stark. Ich wollte ihn runterstoßen. Bitte verstehen Sie. Ich konnte einfach nichts tun. Es war wie in einem furchtbaren Albtraum, wo man nicht schreien kann, nur dass es kein Traum war.«
Anya
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