Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
Neuropathologen gesprochen, und der ist ebenfalls der Ansicht, dass alles auf CTE hindeutet. Ich habe ihm von Ihrem Interesse an dem Fall berichtet. Wenn Sie mögen, er hätte heute bis zwei Zeit für Sie.« Sie schrieb seine Kontaktdaten auf. »Sein Büro ist gleich im Nebengebäude.«
Sie schob den Stuhl zurück und stand auf. »Natürlich kann ich CTE erst dann endgültig feststellen, wenn die histologische Gehirnstruktur mit dem Kontrastmittel vorliegt. Ich überlasse es Ihnen, wie viel Sie den Angehörigen schon jetzt mitteilen wollen.« Sie sah auf die Uhr und griff nach dem Mantel. »Ich würde Sie ja gern zum Mittagessen einladen, aber ich habe einen Termin beim Bürgermeister.«
Beim Gehen rekapitulierte Anya, was sie soeben erfahren hatte. Der von Pete Janson so geliebte Sport hatte ihm womöglich einen Hirnschaden beschert, der insbesondere den frontalen Bereich des Gehirns betraf. Dazu kamen die Auswirkungen des Steroiddopings.
Lyle Buffet verlangte, dass seine Spieler wie Krieger in die Schlacht zogen, sich mit Wucht auf den Gegner stürzten und körperlich bis ans absolute Limit gingen. Unweigerlich drängte sich die zynische Frage auf, ob ein leichter Hirnschaden die Spieler nicht sogar einfacher manipulierbar machte. Der Nachteil war nur, dass eine Schädigung des Stirnlappens zu erhöhter Gewalttätigkeit führen konnte, zu verstärkter Anfälligkeit für Depressionen und Drogensucht, zu Aggression und sexueller Enthemmung. Und so erschufen die großen Macher des Sports, genau wie Victor Frankenstein, eigene Monster, die sie auf die Welt losließen. Nigel Everett hatte vor dem Senatskomitee erklärt, nicht die faulen Äpfel seien schuld, das ganze Fass sei vergiftet. Sie hatte mehr und mehr den Eindruck, dass er recht hatte.
Sie fragte sich, welche Rolle Gavin Rosseter und der andere Mannschaftsarzt bei der Vertuschung des Dopings gespielt hatten, so sie denn daran beteiligt waren, und inwieweit sie die Verantwortung dafür trugen, dass hier unberechenbare Männer geschaffen wurden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für sich und andere darstellten.
Wenn das bekannt würde, wäre nicht nur der gute Ruf von Pete Janson und den Bombers unrettbar dahin, die gesamte, acht Milliarden schwere Liga wäre in ernster Gefahr. Man hatte schon aus geringerem Anlass gemordet.
31
Nach einem kurzen Anruf holte Dr. Harrison Leske Anya im Foyer des Medizinischen Instituts ab. Der kanadische Neuropathologe war leicht zu erkennen. Am Telefon hatte er sich als normal groß beschrieben, schlank und mit einer Harry-Potter-Brille, wobei er Wert auf die Feststellung legte, dass er die Brille schon getragen hatte, bevor der jugendliche Zauberer populär geworden sei.
Leske glich dem Film-Harry-Potter tatsächlich aufs Haar, nur dass er älter war und keine Hogwarts-Schuluniform trug.
»Nennen Sie mich Harrison. Es hat mich riesig gefreut, als Gail mir Ihren Besuch angekündigt hat. Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns im Gehen unterhalten? Die Columbia University hat meinem Team erlaubt, während des Trainings die Kräfte zu messen, die auf die Helme einwirken.«
Anya war dankbar für jede Minute, die er so kurzfristig für sie erübrigen konnte. »Ich weiß nur wenig über CTE .«
Er holte einen Rucksack und eine Aktentasche. »Da geht es Ihnen wie allen, deshalb ist diese Studie ja so wichtig. Wenn Sie mitkommen möchten, sind Sie mehr als herzlich eingeladen. Ich könnte Ihnen unsere bislang gesammelten Daten zeigen.«
Wenn Anya vorhatte, den Clubbesitzern zu eröffnen, dass Janson eventuell an CTE erkrankt war, durfte sie sich keinen fachlichen Fehler erlauben. Je mehr sie wusste, desto besser. »Mit dem größten Vergnügen.«
Im Gewusel hin und her eilender Studenten, Dozenten, Anwälte, Ärzte und Touristen gingen sie auf einen Parkplatz an der First Avenue. Leske öffnete einen blauen Prius und legte sein Gepäck auf die Rückbank. Automatisch lief Anya auf die linke Seite.
»Wenn Sie unbedingt ans Steuer möchten … «, sagte er grinsend.
Anya wurde rot. »Die Macht der Gewohnheit.«
Etwas verlegen nahm sie auf dem Beifahrersitz Platz. Zu Hause wäre auf dieser Seite das Lenkrad. Sie fuhren nach Norden, und dicke Regentropfen prasselten auf die Windschutzscheibe.
»Das wird nur ein kurzer Schauer sein«, meinte er, als er an einer Ampel hielt. »Aber selbst bei einem Schneesturm würde das Training nicht abgesagt.«
Die Aussicht, den Nachmittag im Regen zuzubringen, war nicht sehr
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