Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
verlockend, aber da Football bei praktisch jedem Wetter gespielt wurde, hatte sie keine Wahl. Zum Glück kehrte die Sonne, wie von Harrison prophezeit, zurück, als sie gerade die 218th Street erreichten.
»Willkommen in der Bronx«, verkündete er und genoss es sichtlich, den Fremdenführer zu spielen. Er bog zum Baker Stadium ab und öffnete mit einer Karte die Schranke zum Parkplatz.
Nach Rücksprache mit einem Wachmann marschierten sie zum Spielfeld, wo ein Mann, der selbst nach den Maßstäben der Liga ein Riese war, sie in Empfang nahm. Er maß zwei Meter bis zwei Meter fünf und war breiter als jeder Spieler, den sie bis jetzt getroffen hatte. Beim Gehen sprang seine rechte Hüfte aufwärts, und das Knie wollte sich nicht beugen. Die Tiefe seiner Stimme stand in umgekehrter Proportion zur Höhe seiner Gestalt.
Der Neuropathologe stellte ihn als Roman Bronstein vor.
»Dr. Crichton ist aus Australien zu Besuch und interessiert sich für CTE .«
»Schön, dass Sie da sind. Je mehr Leute darüber Bescheid wissen, desto besser.«
Zum Glück hatte Dr. Leske nicht erwähnt, dass Pete Jansons Tod der Grund für ihr Interesse war.
Sie gingen auf einen Tisch an der Seitenlinie zu, auf dem Monitore und Computer standen, die notdürftig mit einer Plastikplane geschützt waren.
»Macht das Knie wieder Macken?« Leske klang ernsthaft besorgt.
»Ist nicht gerade einer der besseren Tage.« Bronstein rieb sich das Knie. »Das habe ich nun davon, dass ich mich jahrelang mit Prednison fitspritzen ließ, um spielen zu können.«
Der ehemalige Spieler hatte ein beinahe völlig steifes Knie. Je mehr Anya über die medizinische Seite des Profisports erfuhr, desto größer wurde ihre Ernüchterung über die hier tätigen Ärzte. Nie und nimmer durfte ein behandelnder Arzt die verletzungsbedingt entstandene Flüssigkeit in einem Kniegelenk routinemäßig absaugen und dann schwere Entzündungshemmer nachspritzen. Kein Wunder, dass der Mann einen permanenten Knieschaden hatte. Sie war sich nicht sicher, ob die Spieler den Behandlungsmethoden auch dann zustimmen würden, wenn sie um die langfristigen Folgen wüssten. Andererseits hatten sie mit dem Geld, das sie in ihrer relativ kurzen Karriere verdienen konnten, fürs ganze Leben ausgesorgt.
Man konnte sich leicht ausmalen, dass ein Profisportler eine erfolgreiche Laufbahn, Ruhm, Geld und lukrative Werbeverträge einer konservativen medizinischen Behandlung und einer verkürzten Karriere vorzog.
Zwei jüngere Männer klemmten Kabel an den Helmen fest. Wahrscheinlich studentische Hilfskräfte. Einer schnippte sich die Haare aus den Augen, was wohl seine Version einer Begrüßung war. Der andere blickte kurz auf und wandte sich sofort wieder seinem Computer zu.
Roman lachte tief und herzlich. »Sie reden nicht viel, aber dafür sind sie echt billig.«
Wie Harrison erläuterte, hatte Roman nach dem Selbstmord eines ehemaligen Mannschaftskameraden eine Stiftung gegründet. Die Obduktion seines Freundes hatte CTE ergeben.
»Davon hatten wir noch nie gehört, und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass die leichten Gehirnerschütterungen, die wir immer wieder mal abbekamen, schädlich sein könnten. Wenn es heftig war, wurde ein Scan gemacht, wir wurden heimgeschickt und gingen tags drauf wieder zum Training. Meistens spielten wir aber einfach weiter. Manchmal konnte ich mich hinterher überhaupt nicht erinnern, was während des restlichen Spiels passiert war. Der Körper funktionierte, aber das Hirn nicht. Im Rückblick sind diese Erinnerungslücken echt beängstigend.«
Man hörte das Klatschen von Sportschuhen auf Zement.
»Die Lions kommen«, verkündete Roman.
In vollem Harnisch liefen die Recken aufs Feld. Die studentischen Forscher reichten zwei Spielern Helme und halfen beim Anlegen.
»Wir messen bei jedem Mann die Kräfte, die bei einem Aufprall auf den Kopf einwirken. Jeder Helm ist innen mit sechs Sensoren ausgerüstet. Wir benutzen ein System namens HITS , das bei jedem Schlag gegen den Kopf exakt die Kraft und die Stelle bestimmt.«
Soweit sie das inzwischen beurteilen konnte, dauerte ein Spielzug nicht lange, und die Mannschaftsteile wurden bei jedem Wechsel des Ballbesitzes ausgetauscht. Es interessierte sie brennend, wie viele Schläge jeder Kopf verkraften musste. Allzu viele dürften es eher nicht sein.
Leske schlüpfte unter die Plane und studierte die Monitore. »Bei jeder Kollision zeichnen wir den Peak auf und können so feststellen, auf welchen
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