Wenn keiner dir glaubt: Thriller (German Edition)
Medienspekulationen über seinen Tod abgeflaut, und alle Welt behielte den von Gavin Rosseter ins Spiel gebrachten Herzinfarkt als Todesursache im Gedächtnis.
»Ich warte noch auf die Patientenakte von seinem Hausarzt. Bis dato habe ich nur das Gesundheitszeugnis des Mannschaftsarztes. Ist Ihnen bekannt, ob er an Depressionen oder Epilepsie litt?«
Anya beugte sich vor. »Nicht dass ich wüsste.« Wenn die Leichenbeschauerin so fragte, musste die äußere Begutachtung des Gehirns eine Auffälligkeit ergeben haben.
»Glauben Sie, dass nicht Asphyxie die Todesursache war?«
Die Ärztin reichte ihr mehrere Fotos. »Was sagt Ihnen der Zustand des Gehirns?«
Anya betrachtete die Aufnahmen aufmerksam. Der Stirnlappen wies eine glänzende hellbraune Schicht auf, die wie Narbengewebe aussah.
»Er wurde kürzlich bei einem Spiel am Kopf verletzt, stand aber wieder auf und spielte weiter, danach schien ihm nichts zu fehlen.« Es bestand die Möglichkeit einer sogenannten epiduralen Blutung zwischen Hirnhaut und Schädel. Dabei konnte der Betroffene unmittelbar nach der Kopfverletzung bei klarem Bewusstsein sein, dann aber, wenn die Blutung größer wurde und Druck auf das Gehirn ausübte, rasch abbauen. »Könnte es epidural sein?«
»Darauf deutet nichts hin.« Sie präsentierte eine Reihe von ganz ähnlichen Aufnahmen. »Das ist von einem Boxer, der zwanzig Jahre gekämpft und sich mit siebenunddreißig das Leben genommen hat. Vergleichen Sie es mit dem eines fünfundsiebzigjährigen Demenzkranken.« Sie zeigte auf ein beinahe identisches Bild. »Janson liegt irgendwo dazwischen.«
»Das scheint mir keine akute, aktuell zugezogene Verletzung zu sein. Es sieht eher nach einer Narbe als nach einem Hämatom aus.«
»Das sehe ich genauso. Eine Narbe wie sie entsteht, wenn man den Schädel über lange Zeit als Rammbock oder Punchingball missbraucht.«
Völlig verblüfft lehnte Anya sich zurück. »Aber er war erst siebenundzwanzig, und ich habe doch die Helme gesehen. Die sind mit Schaumstoff ausgekleidet und haben aufblasbare Einlagen, die sich exakt an die Kopfform des Spielers anpassen. Es ist ganz und gar ausgeschlossen, dass sie verrutschen. Diese Helme bewegen sich mit dem Kopf mit und absorbieren den größten Teil des Aufpralls, dachte ich wenigstens.«
»Ich habe mich in der Literatur kundig gemacht, und womit wir es bei Pete Janson zu tun haben, dürfte eindeutig CTE sein – wenngleich wir natürlich abwarten müssen, bis das Gehirn fixiert und seziert ist.«
Anya hatte von der Chronischen Traumatischen Enzephalopathie gehört. Die ersten Fälle hatte man bei ehemaligen Boxern diagnostiziert, von denen geschätzte zwanzig Prozent Gefahr liefen, daran zu erkranken. Neue Studien belegten allerdings, dass die Quote wesentlich höher lag. Wenn es stimmte, was Gail über Petes Gehirn sagte, hatten die permanenten Schläge, die er bei Ausübung seines Sports auf den Kopf bekam, einen irreversiblen Hirnschaden ausgelöst. Sie dachte an das Match zurück, das sie von der Seitenlinie aus mitverfolgt hatte, und die hörbaren Kollisionen bei jedem Spielzug.
Gail überlegte. »Es würde mich brennend interessieren, ob seine Persönlichkeit sich verändert hat – extreme Aggressivität, Hemmungsverlust, Vergesslichkeit, schwere Depressionen. Alle Sportler, bei denen es bislang festgestellt wurde, haben Suizid begangen. Angesichts der gravierenden Schäden an Jansons Hirnrinde kann ich das auch bei ihm nicht ausschließen.«
»Er wird beschuldigt, letzte Woche eine Frau vergewaltigt zu haben. Sie wollte ihm ein Geschäft vorschlagen, er aber nahm an, dass sie auf Sex aus sei. Er ging ins Bad und kam nackt ins Zimmer zurück.«
Gail tippte mit einem Bleistift auf den Tisch. »Klingt nach Enthemmung durch Zerstörung des Stirnlappens.«
»Oder offener Aggressivität. Schwer zu sagen, ob das ein neuer Zug an ihm war oder seit jeher zu seinem Charakter gehörte. Diese Männer werden auf Brutalität getrimmt und sind nicht immer fähig, das abzustellen.«
»Das ist beängstigend.« Gail schüttelte den Kopf. »Gab es seit dem Vorwurf der Vergewaltigung irgendwelche Anzeichen einer Depression? Immerhin muss das doch seine Karriereaussichten massiv geschmälert und erhebliche Auswirkungen auf seine Familie gehabt haben. Scham, Schuldgefühle, Reue.«
Anya bezweifelte das. »Janson war bester Dinge und hatte offenbar unmittelbar vor seinem Tod eine andere Frau bei sich auf dem Zimmer. Wir haben bislang keinen
Weitere Kostenlose Bücher