Wenn Licht die Nacht durchdringt: (Teil 2) (German Edition)
konnte, doch war ihr bewusst, dass es keine Garantie dafür gab. Doch in diesem Moment war es genau das, was sie hören musste, was sie brauchte, um nicht in Angst und Hysterie zu ertrinken. „Es tut mir leid …“, flüsterte sie.
Er zog die Brauen hoch und musterte sie nachdenklich. „Was tut dir leid?“
„Dass ich euch in meine verzwickte Geschichte hineinziehe. Ihr solltet nicht … Du solltest nicht …“
„ Wir sind, wo wir sein sollten – so irgendwie“, unterbrach er sie. Er schluckte schwer, sah einen Moment zu Boden, ehe er sie wieder ansah. „Du ziehst uns in nichts hinein. Wir gehören in diese Geschichte, deshalb sind wir hier. Deswegen wissen wir bescheid. Es bringt nichts, wenn du dich in Schuldzuweisungen suhlst. Es hilft uns weit mehr, wenn du uns einfach alles sagst, was du weißt – alles, was vorgefallen ist. Egal, wie klein oder unbedeutend es dir erscheint. Nur gemeinsam bringen wir die Sache zu einem guten Ende.“ Er verstummte einen kurzen Moment. „Du hast … eine Menge durchgemacht. Ich verstehe, dass es viel war, dass du fertig bist und dich am liebsten irgendwo verkriechen willst. Aber das geht nicht. Wenn du das tust, wird es nie zu Ende sein.“
Sie sah ihm in die Augen. Ein wissendes Gefühl überkam sie. „Du … hast zugehört. Hab ich recht? Du hast gehört, was Marah und ich geredet haben. Was ich erzählt habe.“
Einen Moment sah er leicht schuldbewusst drein, dann zuckte er mit den Schultern. „Das Fenster stand offen.“
Sie nickte, in Gedanken langsam abdriftend. „Ich habe alles erzählt, was wichtig ist – was uns weiterhelfen könnte.“ Das war die Wahrheit. Was sollte es bringen, wenn sie erzählte, wie Nikolaj sich ihr gegenüber verhalten hatte? Was er getan hatte? Das trug zu keiner Lösung bei – und sie wollte nicht daran denken, es vergessen, es ungeschehen machen. Sie wollte nicht so an ihn denken. Mit all dem, was passiert war. Sie wollte keine Furcht verspüren, wollte ihn nicht hassen. Was genau sie wollte, wusste sie nicht. Aber es war nichts von all dem, was sie bereits hatte, von dem, wie es derzeit war.
Eine Welle von Schwere überkam sie, sodass sie ihren Kopf auf Jonathans Schulter sinken ließ. Nicht zögernd, sondern mit dem Hauch von Selbstverständlichkeit, von der sie nicht wusste, woher er kam. „Ich … alles ist so schnell passiert, dass ich keine Zeit hatte, es zu verarbeiten. Ich habe das Gefühl, ich bin auf einer riesigen Eisfläche und kann nicht mehr anhalten, schlittere immer weiter und weiter auf einen Abgrund zu oder breche jeden Moment in eisige Dunkelheit ein. Ich weiß nicht, voran ich mich festhalten soll.“
„Du musst dich an dir festhalten. Ohne dich selbst bist du aufgeschmissen. Und …“, er hielt einige Momente inne, „du kannst dich an mir festhalten. Ich bin standfest und hart im Nehmen.“ Er lächelte leicht, den Anflug eines schmerzhaften Zugs auf dem Gesicht. „Meistens zumindest.“
„Wen hast … Darf ich fragen, wen du … verloren hast? Marah hat gesagt, dass du …“, sie sprach den Satz nicht zu Ende. Er wusste auch so, was sie meinte, dessen war sie sich sicher.
Jonathan starrte eine Weile abwesend in die Luft – sie drängte ihn nicht zu antworten, wünschte sich jedoch, er würde ihr eine Antwort geben. Und er tat es. „Meine Schwester Corin. Sie war eine Hexe, so wie Marah – und du. Ein ziemlicher Dickschädel, musste immer mit den Kopf durch die Wand. Wenn sie sich einmal etwas vorgenommen hatte, konnte man sie nicht mehr davon abbringen. Nicht mit Logik, Vernunft oder Bitten und Betteln …“ Er versuchte seine Stimme fest klingen zu lassen, doch es gelang ihm nicht in Gänze. Schuld und Kummer schwangen in ihr mit, wie eine schwermütige Melodie, die einem bis ins Mark ging und ihr das Herz schwer werden ließ.
„Das tut mir leid …“ Sie musste sich zusammenreißen, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. Zu frisch waren ihre eigenen Wunden und Verluste; zu leicht konnte sie sich an Jonathans Schmerz verbrennen und ihren eigenen neu entfachen. Doch auf der anderen Seite war diese schreckliche Erfahrung eine Gemeinsamkeit, die sie einander näherbrachte, einander besser verstehen ließ. Es verkürzte den Weg zum anderen, selbst dann, wenn man sein Gegenüber eigentlich – noch – nicht kannte. Das Wesen der Verbundenheit, das sich einem anderen Menschen nahe fühlen ließ, funktionierte eben nicht nur in Bezug auf positive Erlebnisse und Erfahrungen, sondern auch in Bezug
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