Wenn Licht die Nacht durchdringt: (Teil 2) (German Edition)
Hekates Blick verschwamm ins Leere, als ob sie etwas sehen könne; lauschte, als ob sie etwas hören könne. „Es lauert Gefahr. Sei vorsichtig – und vergiss nicht: Halte dich an dein Herz. So unstet und wirr es dir manchmal erscheinen mag, es ist dein Anker in jedwedem Sturm.“
SECHZEHN
Gwen schlug die Augen auf und schnellte in die Höhe. Sie lag im Bett – im Zimmer des kleinen Toskanahäuschens. Und sie war allein.
Ihr war nicht klar, wie viel Zeit in der „realen Welt“ vergangen war, während sie – ihr Geist – bei Hekate gewesen war. Es konnte nur ein Wimpernschlag verstrichen sein, die exakte Dauer ihres „Gesprächs“ mit der Hexengöttin oder aber die halbe Nacht. Wie viel war zwischenzeitlich passiert?
Was
war zwischenzeitlich passiert?
Es lauert Gefahr. Sei vorsichtig.
Sie wusste nicht, was Hekate damit gemeint hatte – aber sie musste es herausfinden. Jetzt. Sofort. Und sie musste den anderen erzählen, was sie in Erfahrung gebracht hatte.
Hastig sprang sie aus dem Bett, lief die Treppe nach unten und sah sich nach den anderen um. „Marah? Jonathan? Nick?“ Niemand antwortete ihr. Wo waren die drei nur? Sie konnten doch nicht alle weg sein? Oder doch? War Marah Jonathan nach draußen gefolgt, wo sie jetzt immer noch waren? Hatten sie sich wieder
versöhnt
? Und Nikolaj – war auch er draußen? Nicht wissend, wo die anderen waren, eine mögliche Gefahr in der Nähe, fühlte sie sich plötzlich sehr verletzlich. Dies war der Moment in dem ihr die wahre Bedeutung der Aussage „gemeinsam sind wir stark“ bewusst wurde. In seiner ganzen Tragweite. Das Leben war kein Solospiel – und dieses „Spiel“ um Hell und Dunkel, Gut und Böse erst recht nicht.
Ein aufgebrachtes Stimmengewirr drang an ihr Ohr. Laut, obwohl es eindeutig von draußen kam. Sie eilte zur Haustür, stieß sich im Laufen an einer Ecke, überging den Schmerz an ihrer Seite jedoch und lief hinaus in die Nacht.
Ein Stück vom Haus entfernt, im Licht des Mondes sichtbar, standen sie dicht beieinander: Nikolaj, Marah und Jonathan. Wobei Nikolaj und Jonathan fast unmittelbar „aneinander“ standen, während Marah einen Schritt seitlich stand und die Szene konfus beobachtete.
„Was ist los?“ Schnell atmend kam sie neben ihnen zum Stehen. „Was ist hier los?!“, drängte sie ein weiteres Mal zu wissen und drang doch nur schwerlich durch das erhitzte Stimmknäuel der Männer hindurch.
„Ich frag dich jetzt zum letzten Mal: Warum hast du Gwen allein gelassen?!“
„Ich sag es dir ebenfalls zum letzten Mal: Kümmere dich um deinen eigenen Kram! Wenn ich frische Luft will, dann gehe ich an die frische Luft. Gwen geht es bestens.“
„Bestens?! Wenn es ihr bestens geht, dann bin ich Napoleon Bonaparte. Hast du sie dir in letzter Zeit mal genauer angesehen? Und Frischluft?! Du brauchst verdächtig oft Frischluft, meinst du nicht auch? Nimmst du jedes Mal Kontakt mit deinen Leuten auf oder bist du einfach nur ein Schwächling mit großer Klappe?“
„Ich bin nicht in bester Stimmung – wenn du willst, dass sie noch schlechter wird oder auf dich übergeht, dann red nur weiter! Gib mir einen Grund …“
„Zu WAS?! Mich um die Ecke zu bringen? Tu dir keinen Zwang an! Vielleicht sieht Gwen dann endlich ein, was du für eine Teufelsbrut bist! Wenn du mich fragst, ist sie …“
„Lass Gwen da raus!“
„Sonst WAS?! Du machst mich krank, Sensat! Wenn ich dich nur ansehe, möchte ich dich am liebsten … Wie wärs, wenn du mir einen Grund gibst, dich auszuschalten? Was zum Teufel willst du hier?! Glaubst du wirklich, Gwen wäre in dieser Situation, wenn du nicht wärst?!“
„Du weißt überhaupt nichts über mich – oder über Gwen!“
„Ich weiß eine Menge über sie! Zum Beispiel, dass sie naiv ist und einfach nicht sehen will, was du bist! Und über dich weiß ich auch genug! Genau genommen reicht es zu wissen was jemand deinesgleichen getan hat, um dich zu kennen! Ihr seid alle gleich!“
„Seid ihr Menschen etwa alle gleich? Bist du wie der Serienkiller, der einen nach dem anderen die Kehle durchschlitzt? Der Säufer, der seine Ehefrau schlägt? Der Zuhälter, der …“
„Komm schon, sag es uns: Wie viele Leben hast du auf dem Gewissen? Wie viele Menschen hast du getötet?“
„Deine letzte Chan …“
„Es würde mich nicht wundern, wenn du derjenige wärst, der ihren Vater auf dem Gewissen hat!“
Ein Wimpernschlag, ein Sprung, dann stolperte Jonathan, gestoßen von Nick rückwärts, während
Weitere Kostenlose Bücher