Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
anfordern, lesen und entscheiden, ob ihr sie für die Öffentlichkeit freigebt oder wieder an euch nehmen wollt. Die verbleibenden Texte werden für spätere Generationen archiviert. Vielleicht werdet ihr dann noch nach eurem Ableben plötzlich berühmt.«
MussdasseinwielangsollendieTexteseinwielangehabenwirZeit, gibtesdafürNoten – alle redeten durcheinander, keiner hörte mehr zu. Und dann klingelte es und die Stunde war vorbei.
Also, ich finde das super. Nichtigkeiten des Alltags aufschreiben und zum Weltereignis erklären! Ha! Das ist genau meinDing! Ich kann einfach ein paar Seiten aus meinem Tagebuch abschreiben – und fertig.
Allerdings frage ich mich, was die anderen schreiben. Maiken verfasst bestimmt eine Anleitung zum Meditativen Trommeln. Und Vicky textet was über Lippenstiftfarben. Aber worüber schreibt Tom? Am liebsten würde ich alle Texte klauen und sie heimlich lesen. Wenn ich Herr Welter wäre, wüsste ich nicht, ob ich es schaffen könnte, alles ungelesen wegzuschließen. Da erhält man garantiert tiefe Einblicke ins Seelenleben der Schreibenden. Aber genau deswegen wäre das natürlich auch gemein. Also, ich traue es Herrn Welter zu, dass er es schafft. Der lügt nicht.
14.18 Uhr Nach dem Mittagessen hat Tom mich auf dem Weg von der Mensa zur Schule zurückgehalten, um unter vier Augen mit mir zu sprechen. Und jetzt lief das bei uns dann doch wenigstens ein bisschen wie bei Bella und Edward. Tom legte seine Hände auf meine Hüften und küsste mich und plötzlich starrten alle zu uns rüber. Ein paar Mädchen aus der Parallelklasse steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Jakob tat so, als würde er uns nicht sehen, weil er so damit beschäftigt war, das Hinterteil seiner neuen Freundin zu betätscheln. Aber er schielte doch rüber, ich habe es genau gesehen.
»Wir brechen jetzt sowieso alle Regeln«, murmelte ich filmreif.
Tom hielt inne, überlegte und hörte dann leider auf, mich zu küssen. »Nein, du, darüber will ich mit dir reden. Genau das sollten wir nämlich nicht tun.«
»Hä?«, sagte ich. Okay, filmreif war dieser Dialog doch nicht.
»Es geht um deinen Vater.« Toll, dachte ich. Jetzt also dochnoch eine Grundsatzdiskussion über ein Thema, das ich am liebsten vergessen würde. Ich machte daher ein Gesicht wie ein bissiges Meerschweinchen, aber Tom redete einfach weiter. »Ich finde, wir sollten den Ball flach halten und ihn nicht noch mehr provozieren.«
»Hä?«, sagte ich wieder.
»Na, ich finde, wir tun jetzt einfach, was er will. Wir haben ja schließlich auch Fehler gemacht.«
»Hä???«
»Lil, sag doch mal was anderes.« Tom steckte beide Hände in die Hosentaschen und zog die Schultern hoch. »Es war doch echt komplett idiotisch von uns, dass wir uns nachts vor euerm Haus geküsst haben.« Wie bitte? Hatte er Weichspüler getrunken? Tom klang ja fast wie Paps. Ich schluckte hart. »Wir hätten das mal lieber … hinterm Haus tun sollen«, fügte er jetzt hinzu und grinste mich frech an. Boah! Dafür, dass er mich so erschreckt hatte, schubste ich ihn Richtung Gebüsch.
»Jetzt mal ernsthaft, Lil. Wir sollten den Streit zwischen dir und deinem Vater nicht anheizen. Dadurch wird alles nur noch komplizierter. Sorg lieber dafür, dass du wegen guter Führung begnadigt wirst. Morgen kommt Felix zurück und das wollen wir abends im Einstein feiern. Da musst du dabei sein!«
Ja, stimmt, das muss ich. Ich werde mein Bestes geben.
15.00 Uhr Englisch. Ich langweile mich.Aber Langeweile kann ja kreative Kräfte freisetzen und tatsächlich habe ich eine Idee für Herrn Welters Schreibprojekt. Ich habe gerade noch mal über dieses Buch mit den Texten über die Liebe nachgedacht, das ich am Wochenende gelesen habe.Puh, das war jamal ein ödes Werk. Nur ein einziger Satz hat mich zum Nachdenken gebracht. Er lautete: »Die Liebe ist Sieger, rege ist sie bei Leid.« Den kann man nämlich vorwärts und rückwärts lesen, er bleibt immer gleich. Toll.
Ich hatte dann ein Aha-Erlebnis. Mir fiel auf, warum sich diese Gedichte und Geschichten so fade und leblos anhören: Das Liebesvokabular hierzulande ist einfach erschreckend klanglos. Wenn man mal das Hirn ausknipst und nur die Ohren anlässt, ist man von der Gefühlsarmut unserer Sprache entsetzt!
Nehmen wir zum Beispiel mal das Wort Zärtlichkeit! Acht harte Konsonanten, nur vier Vokale. Und die kann man eigentlich auch noch weglassen, man merkt kaum einen Unterschied. Zrtlchkt.
Leidenschaft ist auch
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