Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
und Regeln aushandeln, an die ich mich dann halten muss.«
Er nickte wieder. Regeln waren gut, das war genau seine Linie, das wusste ich, denn ich hatte es in »Pubertäter brauchen Väter« im Kapitel »Ohne Regeln geht es nicht« gelesen. Auch Flocke nickte mir zu. Ermutigt fuhr ich fort. »Aber Hausarrest ist einfach altmodisch. Das ist was für Kleinkinder und irgendwie ist es auch Gewalt. Und Gewalt in der Erziehung ist schädlich.« Auch das stand in seinem Buch, und zwar im Kapitel »Immer locker bleiben«. Flocke sah jetzt allerdings aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
Paps lächelte mich an, aber irgendwie war das ein gönnerhaftes Lächeln, so von oben herab. »Lillykind, das ist doch keine Gewalt. Ich habe nur ein Verbot ausgesprochen, das in direkter Beziehung und in logischer Konsequenz zu deinem Regelübertritt stand. Verstehst du? Du hast unerlaubt das Haus verlassen. Jetzt ist es dir eine Woche lang gar nicht mehr erlaubt, dieses Haus zu verlassen, außer wenn du in die Schule gehst. Da besteht ein Zusammenhang zwischen Regelübertritt und Strafe.« Natürlich hatte ich das verstanden. Ich hielt es trotzdem für Schwachsinn. Auch Flocke verdrehte die Augen. Ich war froh, dass er ausnahmsweise mal auf meiner Seite war. »Paps, ich bin nicht mehr fünf. Du kannst mich doch nicht einfach auf mein Zimmer schicken, wenn ich anderer Meinung bin als du.«
»Stimmt. Und so ist es ja auch gar nicht. Erstens bist du nichtanderer Meinung als ich, was deinen Fehler angeht, du hast dich ja gerade bei mir dafür entschuldigt. Und zweitens schicke ich dich nicht auf dein Zimmer. Du sitzt ja gerade hier am Frühstückstisch. So. Das war’s. Die Sache ist geklärt, Schluss mit der Diskussion.« Klar. Jetzt waren wir im Kapitel »Unnütze Diskussionen vermeiden«.
»Paps, heute kommt Felix aus seiner Kur zurück. Er war sechs Wochen lang weg und wir wollen seine Rückkehr alle zusammen feiern, das soll eine Überraschung sein. Darf ich da bitte hin?«
»Lil …«, sagte Florian, aber Paps unterbrach ihn. »Lillykind, ich verstehe, dass du das möchtest. Aber es geht nicht. Konsequenz in der Erziehung ist wichtig, egal ob jemand fünf oder fünfzehn ist.«
»Sechzehn.«
Florian machte mir mit der Hand unauffällig ein Zeichen, das ich nicht verstand.
»Dann eben sechzehn«, sagte Paps. »Glaub mir, Lilia, tief in deinem Inneren willst du selbst, dass ich bei unserer Abmachung bleibe. Du würdest ja den Respekt vor mir verlieren, wenn auf mein Wort nicht Verlass wäre. Und das wäre viel schlimmer für dich als eine verpasste Party.«
Würg. So ein absoluter Schwachsinn. Tief in meinem Inneren wollte ich zu Tom. Und tief in meinem Inneren habe ich grundsätzlich keinen Respekt vor Leuten, die mich mithilfe von Ratgebern erziehen.
»Nein, das stimmt nicht«, widersprach ich. »Ich finde die Sache mit dem Hausarrest voll peinlich und altmodisch. Und ich hätte viel mehr Respekt vor dir, wenn du das einsehen würdestund wenn du die Größe hättest, diese bescheuerte Strafe rückgängig zu machen, anstatt einfach nur nachzuquatschen, was du in irgendeinem Buch gelesen hast.«
Huch? Hatte ich das wirklich gesagt? Ein Blick auf die Gesichter meines Vaters und meines Bruders zeigte: Ich hatte. Beide sahen plötzlich aus, als hätten sie Zahnweh. Ich verstehe das wirklich selbst nicht. Manchmal hakt mein Gehirn komplett aus und ich sage Sätze, die ich überhaupt nie, nie, nie gesagt haben will. Mist! Ist man vielleicht erst erwachsen, wenn man es schafft, auch in solchen Momenten cool zu bleiben?
Paps zumindest konnte das. »Weißt du was, Lillykind?«, sagte er freundlich und befolgte damit eins zu eins die Anweisungen aus dem Kapitel »Lassen Sie sich nicht provozieren«. »Ich glaube, jetzt gehst du doch mal lieber ganz schnell auf dein Zimmer.« Er vertiefte sich wieder in seine Zeitung, scheinbar ruhig. Mir fiel aber auf, dass er seine Finger ziemlich in das Papier krallte, es war schon ganz zerknittert.
»Können meine Freunde dann wenigstens zu uns kommen? Können wir Felix’ Rückkehr hier feiern? Lässt sich das mit deiner Konsequenz vereinbaren?«
»Lilia, das Thema ist jetzt ausreichend diskutiert worden. Es ist ganz bestimmt nicht Sinn des Hausarrests, dass du deine Gäste zu uns einlädst. Außerdem hat Florian für heute Abend schon Freunde eingeladen. Wir sind doch keine Kneipe!«
»Wieso darf der alles und ich immer nie was?«
Mein Vater sagte kein Wort und tat so, als würde er
Weitere Kostenlose Bücher