Wenn Liebe die Antwort ist, wie lautet die Frage? - Lilias Tagebuch
Zeitung lesen.
»Paps! Hör mir doch mal bitte zu, ich will doch nur …«, fing ich an.
»Schluss jetzt!«, brüllte er da plötzlich und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Oh. Den Satz kannte ich auch aus einem seiner Bücher. Er stammte allerdings aus »Du bist der Leitwolf«, dem neuen Hundeerziehungsbuch.
»Lil!«, rief Florian hinter mir her, als ich aus der Küche rannte. »Warte!«
Aber ich musste hier raus!
10.24 Uhr Bin in der Schule und wir haben gerade Musik. Aber keiner hört zu, was Herr Alt sagt, wir sind alle noch ganz verdattert. Mensch, was war das denn eben?
Wir waren im Musiksaal, es hatte schon geklingelt, aber wir standen alle noch rum und unterhielten uns, denn Herr Alt war noch nicht da.
Auf einmal wurde es ganz ruhig im Raum. Die Stille breitete sich wie eine Welle von vorne nach hinten aus. Erst schwiegen nur die in der ersten Reihe, dann die in der zweiten, und ein paar Augenblicke später hatten auch die ganz hinten gemerkt, dass vorne irgendetwas nicht stimmte.
So auch ich. Ich sah nach vorn, unterbrach mein Gespräch mit Maiken, der ich gerade mein Leid wegen Paps geklagt hatte, und setzte mich schnell auf meinen Platz, denn vorne am Pult stand Herr Makel, unser Schulleiter.
Wahrscheinlich stand er da schon eine Weile. Er ist nämlich sehr unauffällig, man übersieht ihn leicht. Er ist weder groß noch klein, weder dick noch dünn und seine Haare haben eine undefinierbare Farbe, sie sind irgendwie rotbraunblondgrau. Nur zwei Merkmale an ihm sorgen dafür, dass man ihn nichtso leicht vergisst, wenn man ihn mal gesehen hat. Erstens: Er ist stark weitsichtig und seine Brille macht seine Augen riesengroß. Sie wirken, als wären sie gar nicht richtig fest an ihm dran, sondern als hätten sie ein Eigenleben und könnten sogar um Ecken sehen. Weil er damit aussieht wie ein Koboldmaki, nennen wir ihn, wenn wir unter uns sind, nicht Makel sondern Maki. Und dann hat er noch eine zweite Besonderheit: Tortellini-Ohren. Seine Ohrmuscheln sind merkwürdig klein, weiß und knubbelig, und sie stehen ab. Seit ich ihn kenne, esse ich keine Tortellini mehr.
Ja, Herr Makel sieht irgendwie lustig aus. Trotzdem sollte man sich nicht dazu hinreißen lassen, über ihn zu lachen oder ihn zu unterschätzen. Er kann nämlich richtig fies werden. Wenn du ihn ärgerst, passiert erst mal gar nichts, aber er merkt sich dein Gesicht. Und irgendwann verstößt du dann vielleicht gegen einen Paragraphen der Schulordnung und er erwischt dich dabei (und es gibt viele Paragraphen in unserer Schulordnung!). Oder deine Versetzung ist gefährdet, und du könntest es gerade noch knapp schaffen, wenn jemand ein Auge zudrücken würde. Oder du willst einen Tag lang vom Unterricht befreit werden, weil du an einem Wettbewerb teilnehmen möchtest, der die Chance deines Lebens sein könnte.
In solchen Situationen stehst du dann vor ihm und er durchbohrt dich mit seinen Maki-Augen. Und dann sagt er mit leiser Stimme einen Satz, der immer mit denselben Worten beginnt: »Tut mir leid.«
Aber es tut ihm kein bisschen leid. Er macht dich dann fertig und hat Spaß daran.
Der Maki hat eine tief verwurzelte Leidenschaft für Verboteund er plakatiert gern die ganze Schule mit Zetteln und Schildern, auf denen man lesen kann, was man darf und was nicht. Schon wenn man nur an unserer Schule vorbeigeht, wird man mit vier Verbotsschildern konfrontiert: »Rauchen verboten«, ein durchgestrichenes Handy, »Hier keine Fahrräder abstellen« und »Dies ist kein Hundeklo«. An jeder Klassenzimmertür klebt bei uns innen der Hinweis »Türe geschlossen halten« und außen die Frage »Licht aus?«. Wir haben neben dem Rektorat ein Schwarzes Brett, das nur für die Schulordnung da ist. Sie umfasst 62 Paragraphen und wird regelmäßig aktualisiert. Paragraph 51 zum Beispiel lautete anfangs: »Das Werfen von Schneebällen im Pausenhof ist untersagt.« Später wurde dann Paragraph 51 b ergänzt: »Schneebälle im Sinne dieser Verordnung sind auch Eis- oder Hagelklumpen.« Ja, das ist der Maki, wie er leibt und lebt.
Und als er da heute vor uns im Physiksaal stand, starrte er uns mit seinen riesigen Augen einfach so lange an, bis alle still waren. In seinem typischen monotonen Singsang verkündete er dann, dass die zehnten Klassen am kommenden Montag den traditionellen Spendenmarathon organisieren sollen. Er sagte das, als sei das eine Ehre für uns. Aber wir hassen den Spendenmarathon, der jedes Jahr stattfindet, und zwar immer im
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