Wenn moeglich bitte wenden - Abenteuer eines Autofahrers
Apotheker. Jedenfalls ist er der festen Überzeugung, dass ein »120«-Schild auch 120 bedeutet. Nicht etwa 121 oder gar 122. Eher schon 119, besser 117, denn so ein Tachometer könnte ja ein bisschen zu wenig anzeigen, da ist es vorteilhaft, man geht auf Nummer sicher – und das auf der linken Spur, zur Freude und vor allem zum Schutz der Mitfahrer, die vielleicht die Begrenzung übersehen haben oder gar keinen Präzisionsgeschwindigkeitsmesser besitzen und daher für diese wertvolle Hilfe bestimmt sehr, sehr dankbar sind.
Sein Bruder im Geiste ist der Kurzsichtige. Auch er hält nichts von – auch nur geringfügigen – Geschwindigkeitsübertretungen.
Leider gesellt sich zu dieser lobenswerten Prinzipienstrenge eine selektive Fehlsichtigkeit, die sich im sehnervbedingten Ausblenden der kleinen Zusatzschilder unter den Geschwindigkeitsbegrenzungen äußert. Deshalb fährt der Kurzsichtige im Hochsommer bei 32 Grad Celsius und auf dem Höhepunkt einer historischen Trockenperiode – links – mit 78 Stundenkilometern, obwohl unter dem 80er-Zeichen deutlich »bei Nässe« steht. Auch die Beschilderung »Lärmschutz / 8-18h« übersieht er abends geflissentlich. Schließlich macht so ein Auto doch auch nach sechs Uhr noch Krach.
Im krassen Widerspruch zu diesen liebenswerten Zeitgenossen steht eine Gruppe sehr ungeduldiger Fahrer, denen Harald trotz seiner durchaus offensiven und auf Maximalbeschleunigung ausgerichteten Fahrweise irgendwie im Weg ist. Der Prototyp der Nervösen ist das aggressive Nervenbündel, meist der Fahrer eines aufgemotzten 3er BMWs oder einer Mercedes M-Klasse. Harald stört ihn, egal wo, wann und wie er ihn trifft. Harald stört ihn, wenn er den bulgarischen Fischlaster mit 180 überholt. Schließlich, so findet das Nervenbündel, könnte man an dieser Stelle doch auch 210 fahren. Harald stört ihn, wenn er sich in einer 60er-Baustelle erdreistet, die linke, extrem verengte Spur mit lediglich 97 Stundenkilometern zu versperren. Und er stört ihn, wenn er in einer kilometerlangen Kolonne im Feierabendverkehr den Luftraum vor dem Nervenbündel durch seine bloßeAnwesenheit beeinträchtigt. Das Nervenbündel greift dann zu einer ausgefeilten Folge von Lichthupe, Hupe, Blinker und diversen Handzeichen, während es immer dichter auffährt. »Entschuldigung, soll ich gleich hier zerplatzen, oder kann
ich damit noch warten?«, pflegt Harald dann wütend zu rufen, was das Nervenbündel aber natürlich nicht hören kann. Harald fragt sich, was diese Typen eigentlich von ihm erwarten. Vermutlich, dass er aus dem Dach seines Wagens einen Propeller ausfährt und dann nach oben ausweicht, damit der von ihm so niederträchtig behinderte Nachfolger unten durch rasen kann, um dann allerdings acht bis neun Meter weiter auf den nächsten Wagen zu stoßen, der hier ebenfalls unberechtigterweise die Autobahn benutzt.
Der große Bruder des Nervenbündels gibt sich mit solchen kleingeistigen Typen wie Harald erst gar nicht ab. Wozu hier im schönsten Freitagnachmittagstau teure Hupkraft verschwenden, fragt sich der Rechtsvorbeizieher. Schließlich erhöht das permanente Betätigen der Hupe und der Lichthupe den Benzinverbrauch. Der Vorbeizieher braucht das nicht. Er zieht eben nach rechts, wie es ihm seine Bestimmung auferlegt, notfalls auch auf den Standstreifen, und rast dann röhrend an Harald vorbei. Meist übrigens mit überschaubarem Ergebnis, denn 20 Meter weiter ist dann auch die rechte Spur völlig dicht. Doch es sind die kleinen Erfolge, die im täglichen Kampf auf der Autobahn zählen.
So ähnlich denkt auch der Rechtsfahrpädagoge. Ihm geht es jedoch nicht so sehr um sein eigenes Fortkommen, für ihn geht es um das große Ganze. Als Jugendlicher machte er bei den Pfadfindern mit, heute ist er zweiter Schriftführer im örtlichen Tierschutzverein. Und wenn jeder mitmachen würde, so denkt er, dann könnte unsere Welt viel besser sein, jeden Tag ein kleines Stück. Auf der Autobahn leistet er hierzu
seinen bescheidenen Beitrag, indem er allen zeigt, dass durch konsequentes Rechtsfahren Staus und zähfließender Verkehr vermieden werden könnten. Wenn der Verkehrspädagoge überholt, könnte man ihn zunächst mit dem Blinkerlinkssetzer verwechseln, zumindest fährt er ganz nah an den vorausfahrenden Gülletransporter heran, um dann im letzten Moment nach links zu blinken und im selben Moment herauszuziehen. Es geht ihm aber ausschließlich darum zu zeigen, dass man möglichst wenig die
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