Wenn moeglich bitte wenden - Abenteuer eines Autofahrers
(»der ist ja soooo süß«) sucht.
Doch Frauen sind ja multitaskingfähig, weswegen Harald trotz des erneut schlingernden Fahrzeuges links noch eine 2,20 Meter schmale Gasse bleibt, durch die er nassgeschwitzt und wild schimpfend nun endlich an dem feucht-fröhlichen Quartett vorbeifährt, um dieses schleunigst hinter sich zu bringen. Seine Empörung hält nicht lange vor, denn Harald ist das Auftreten dieser Spezies eigentlich gewöhnt. Er rechnet sogar auf jeder längeren Fahrt mit dem Auftauchen eines Mittelspurrudels. Es ist nämlich so: In seiner Schulzeit hat Harald im Chemieunterricht immer die pompöse Wandkarte mit der Darstellung des Periodensystems der Elemente bewundert. Jedes Element hat einen Namen, eine Formel und eine feste Zuordnung. Diese kosmische Ordnung, da ist sich Harald sicher, findet sich auch in allen anderen Lebensbereichen wieder. Deshalb entstammen die vielen Verkehrsteilnehmer, die ihm sein Dasein auf der Autobahn vergällen, eben auch festen Kategorien, in die man sie einordnen kann. Nach den Hunderttausenden im Laufe der Jahre von ihm erfolgreich bewältigten Autobahnkilometern meint Harald nun, diese innere Ordnung vollständig durchschaut zu haben. Nach seiner Auffassung gibt es auf deutschen Autobahnen nicht weniger als 14 Arten und Unterarten von Autofahrern, denen er inzwischen die geeigneten Bezeichnungen verpasst hat. Harald träumt manchmal davon, so wie
einst Alexander von Humboldt sein Weltbeschreibungswerk »Kosmos« veröffentlichte, eines Tages die vollständige »Dokumentation der Autobahnvollnerver« (über den Titel will er angesichts der historischen Messlatte noch einmal nachdenken) herauszugeben. In Gedanken hat er bereits wesentliche Teile fertiggestellt. Auszüge:
Einer der größten und auch anteilsmäßig häufigsten Übeltäter zwischen Greifswald und Bodensee ist der Imletztenmomentrauszieher. Er tritt immer dann auf, wenn sich im alltäglichen Verkehrskollaps doch einmal die sprichwörtliche Wolkendecke öffnet und ein Autobahnabschnitt mit einem Mal gut und schnell befahrbar wäre. Und während Harald gerade links auf 160 beschleunigt, zieht plötzlich ohne jede Vorwarnung (und natürlich ohne zu blinken) ein schäbiger Hundefängerwagen (wahlweise auch ein Golf D oder ein Fiat Uno) auf die linke Spur und fährt gemächlich an dem nach Haralds gefühlter Schätzung mindestens noch fünf Kilometer entfernten Truck vorbei.
Die verschärfte Variante (meist ein VW Passat älterer Bauart oder gar ein VW Bora) ist der Blinkerlinkssetzer. Man muss ihn verstehen, denn er handelt streng nach Vorschrift. Zwar ist der Vorschriftenerteiler in der Regel längst tot, denn das war der Fahrlehrer, der diesen Autofahrer vor circa 40 Jahren ausbildete. Dennoch lebt sein Geist weiter: »Fahrtrichtungsanzeiger links setzen, Seitenspiegel, Rückspiegel, Fahrbahnwechsel...«, schnarrt es im Kopf dieses wandelnden Verkehrsrisikos, das leider im Laufe der Jahre nicht verstanden hat, dass die schematischen Anweisungen von damals
nur eine allererste Gehhilfe für picklige Premierenfahrer waren, die dann aber mit Einfühlungsvermögen und vorausschauendem Handeln umzusetzen sind. Stattdessen ist er fest überzeugt, dass sich aus dem »Setzen« des Blinkers bereits umfassende Hoheitsrechte für die Benutzung der linken Fahrspur ableiten. Der nachrückende Verkehr hat daher gefälligst zu bremsen oder sich in Luft aufzulösen, wenn sich der »Setzer« nun ruckartig und ohne jede Rücksicht auf etwa mit doppelter Geschwindigkeit herannahende Fahrzeuge nach links bewegt.
Mit dem Blinkerlinkssetzer verwandt, aber nicht identisch ist der Präventivblinker. Er ist nämlich nicht hundertprozentig überzeugt, was die Werthaltigkeit seiner Ansprüche angeht, daher meldet er sie lieber frühzeitig an, indem er seinen Blinker benutzt, obwohl er hinter einem Laster festhängt und sich links der wutschnaubende, leider aber auch stark verunsicherte Harald nähert, der nun unfreiwillig zum Präventivbremser wird, da es ihm bis heute nicht gelungen ist, die beiden Arten sauber auseinanderzuhalten.
Ganz im Gegensatz hierzu steht eine Gruppe extrem defensiver Fahrer, die Harald unter dem Sammelbegriff »Angsthasen« zusammenfasst. Der Angsthase erster Ordnung zum Beispiel fährt circa zehn bis 15 Stundenkilometer schneller als das von ihm notgedrungen zu überholende Wohnmobil aus Holland, das rechts mit 70 die leichte Steigung hinaufkeucht. Besonders heimisch ist dieser Angsthase
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