Wenn nicht jetzt, wann dann?
geht. Bisher habe ich wenig Musik gehört, manchmal abends, denn beim Laufen finde ich es einfach schön, die absolute Ruhe zu genießen.
In der Gaststätte kann ich gemütlich essen, und die Welt ist wieder in Ordnung. Auch ein Weltenbummler braucht offensichtlich mal Pause und eine Nische, um sich zurückzuziehen.
Beim Essen habe ich heute einen internationalen Stammtisch: Ein Spanier, ein Italiener, ein Franzose, ein Mann aus Israel, eine Frau aus Berlin und ich, wir essen zusammen und reden deutsch, englisch, französisch, spanisch im Wechsel. Trotz der Internationalität gibt es eine flüssige Konversation und eine Atmosphäre zum Wohlfühlen. Interessante Lebenswege tun sich auf. Das was mich beeindruckt hat, ist die Aussage, dass einer vor zwanzig Jahren aus seinem Beruf ausgestiegen ist, seitdem soziale Dinge tut und jedes Jahr, immer wieder, auf Pilgerreise geht. Diese Aussage, dass es keine Sicherheit gibt, für nichts, dass es sich nicht lohnt, deswegen so im Arbeitsprozess zu bleiben, dass es kein lebenswertes Leben mehr gibt, stimmt mich sehr nachdenklich.
Die Frau aus Berlin ist auch allein unterwegs, und sie ist die volle Strecke gelaufen. Sie versichert mir glaubhaft, dass auch sie, obwohl ebenso wie ich allein unterwegs, auf der gesamten Strecke nie eine für sie bedrohliche Situation vorgefunden hat. Als Grund für ihre Reise gibt sie an, dass sie zu sich selbst finden wollte, was für sie aber nur am Anfang der Strecke funktioniert hat, während es auf ihren späteren Wegen so viel Kommunikation mit anderen gab, dass sie selten allein gewesen sei. Auch sie bevorzugt private Unterkünfte, um für sich selbst private Rückzugsräume zu behalten. Hinzu kommt, dass auch in den Herbergen keine Sicherheit für den Rucksack samt Inhalt besteht. So ist es Voraussetzung, stets alles Wichtige bei sich zu tragen. Das gilt übrigens auch für die Zimmer in hostals etc., da es auch dort niemals einen Safe gibt, jedenfalls nicht bei den preiswerteren.
Unsere gemütliche Runde endet abrupt so gegen 20.30 Uhr, denn die meisten Pilger gehen früh schlafen und sind morgens zwischen 6.00 und 7.00 Uhr auf dem Weg. Auch ich gehe früh ins Bett. Ich bin müde, auch wenn es mir insgesamt wieder viel besser geht. In der Nacht werde ich mehrfach wach, weil es sintflutartig regnet. Auch ist mir kalt, und ich hole mir eine zweite Decke dazu. Die Betten hier in Spanien sind ein Thema für sich. Es gibt stets ein schmales, langes Kopfkissen, meist links und rechts offen, was ich aus hygienischen Gründen nicht so sehr schätze. Ich liege immer auf einem frischen Laken, doch auch die Zudecke ist ein Thema für sich, denn sie besteht stets nur aus einem frischen Laken, über das eine Wolldecke gelegt wird. Aus hygienischen Gründen wird dann das Laken oben circa zwanzig Zentimeter umgeschlagen, sodass der schlafende Gast nicht mit der Decke in Berührung kommen soll, was jedoch nicht immer klappt, und so von meiner Warte aus sehr gewöhnungsbedürftig ist.
21. Tag
Hospital da Cruz – Palas de Rei (24 km), 25. Juni
Heute Morgen ist es kalt und noch immer feucht, aber zum Glück regnet es nicht mehr. Als ich um 7.15 Uhr loslaufe, liegt noch ein wenig Nebel am Horizont, und ich bin sehr skeptisch, was das Wetter anbelangt. Da ich in der letzten Nacht in einem kleinen Gasthof Zwischenstation gemacht habe, bleibt mir heute der Pilgerstrom in der Masse erspart. Lediglich ein junges Pärchen hat in meiner Unterkunft mit übernachtet, welches sich mit der Taxe abholen lässt. Die junge Frau weint, und ich höre, dass sie die Füße so kaputt hat, dass sie nicht mehr weiterlaufen kann. Sie tun mir leid — beide — und ich bin froh, dass mir das im Wesentlichen erspart geblieben ist.
Mein Weg führt mich heute mal wieder bergauf und auch an der Straße entlang, was für mich nicht so verlockend ist. Ich komme jedoch, ausgeruht wie ich heute bin, gut voran. Nach der ersten halben Stunde verläuft mein Weg auch weiter von der Straße ab und fängt wieder an, sich durch die Landschaft zu schlängeln. Immer wieder ergeben sich atemberaubende Aussichten auf Alleen mit Eichenbäumen, auf Heidelandschaften, auf Blumen am Wegesrand, wo es immer wieder in großen Gruppen lilafarbenen Fingerhut zu sehen gibt. Auch geht es durch alte, kleine Ortschaften hindurch, in denen die Häuser mit Efeu bewachsen sind, wo Mauern, bemoost und Blumen verziert, zwischen alten Steinhäusern mit Schieferdächern stehen. In jedem Ort gibt es Häuser, die
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