Wenn nicht jetzt, wann dann?
Steinhausdorf, welches idyllisch am Fuße eines Berges liegt, sodass ich wieder Motive zum Fotografieren finde. In einer Kurve hat jemand eine Garage zu einem kleinen Lokal ausgebaut, sodass es mich einlädt, dort unter der Überdachung eine Pause zu machen. Ich bestelle ein Getränk und pan, also Brot, was man hier auch einzeln, trocken, bekommen kann. Es gibt spanische Musik dazu und viele andere Pilger, sodass ich diese Pause genieße. In der gegenüber liegenden, kleinen Kirche erhalte ich meinen heutigen Stempel für den Pilgerpass, sodass ich gestärkt und zufrieden weiterlaufen kann.
Der Weg nach Melide hinein ist wieder einmal endlos, weil es gilt, die Gewerbegebietszone zu durchqueren. Als ich dann endlich um 12.30 Uhr Melide betrete, ist weit und breit kein hostal zu finden. Also frage ich mich wieder durch.
In der Hauptstraße bietet man mir ein Zimmer mit Bad für 17,50 € an. Ich entscheide: zu teuer und bin entschlossen, etwas Preisgünstigeres zu finden. Zwar kostet es mich eine halbe Stunde suchen und fragen, doch schließlich beziehe ich dann für 12,50 € ein wundervolles, schön möbliertes, geräumiges Zimmer mit Bad in einer ruhigen Seitenstraße. Also habe ich das Geld zum Essen oder Kaffeetrinken schon wieder herausgespart. Inzwischen macht es mir Spaß, um preisgünstige Zimmer zu feilschen, und meist habe ich Erfolg damit, nicht das erstbeste Angebot anzunehmen. Pause ist angesagt. Ich strecke mich wohlig im Bett aus und schlafe erst einmal.
Danach steht wieder Sightseeing auf dem Programm, und ich sehe mir die Kirche und das Stadtzentrum an. Es ist ein netter und sogar recht großer Ort, der aber um 15.30 Uhr noch immer langweilig ist, weil alle Geschäfte geschlossen sind. Die meisten Läden haben von 9.00 bis 13.00 Uhr geöffnet, machen dann bis 17.00 Mittagspause und öffnen wieder von 17.00 bis 21.00 Uhr. Der Lebensrhythmus ist hier also durchaus ein anderer als in Deutschland, und ich habe mich noch immer nicht so recht daran gewöhnt. Also sitze ich wieder einmal im Café, stärke mich mit einem café con leche und einem Stück Kuchen und warte, bis die kleine Stadt zum Leben erwacht. Ab 16.30 Uhr kommt wieder Betrieb in die Straßen; das Café, in dem ich vordem allein saß, füllt sich, und die Einwohner sind auf dem Weg zum Einkaufen.
Nach einem kurzen Einkaufsbummel durch die Läden der Stadt erstehe ich einen kleinen Silbermuschelanhänger als Andenken und sitze dann noch im Abendrestaurant beim Pilgermenü in der Sonne. Auch jetzt treffe ich wieder Bekannte aus den Vortagen, sodass es für einen kleinen Erfahrungsaustausch reicht. Jedoch wird es heute schon früh kalt, sodass ich zeitig auf mein Zimmer gehe und dort die Ruhe genieße.
23. Tag
Melide – Arzúa (25 km), 27. juni
Heute Morgen lasse ich mir etwas mehr Zeit, denn ich habe mir überlegt, dass es günstig sein könnte, die Masse der Pilger »vorgehen« zu lassen. Anscheinend funktioniert meine Strategie, denn als ich so gegen 8.00 Uhr losgehe, bin ich fast allein auf meinem Weg. Zuerst geht es wieder, wie so oft, nach oben, die Straße entlang. Das sind Wege, die ich nicht so liebe. Jedoch dauert es nicht lange, bis wieder ein »Schlängelweg« durch einen »Märchenwald« mit knorrigen Eichenbäumen, Efeu überwuchert, mit Urwald ähnlichem, riesig hohem Farnbewuchs beginnt.
Ich komme gut voran, meine Füße haben sich schon so sehr an das Laufen gewöhnt, dass ich gar keine Probleme mehr habe. Auch bei den großen Steigungen reicht meine Luft inzwischen aus, und ich kann zügig durchlaufen. Es macht mir Freude, dieses festzustellen, denn offenbar ist auch hier Training alles.
Ich durchquere inzwischen Eukalyptuswälder, die ich zuerst an ihrem eindeutigen und angenehmen Geruch erkenne, bevor ich die Bäume, gerade und hoch gewachsen mit ihren silbern schimmernden Blättern sehe. Und immer wieder gibt es Farne, bemooste Erdwälle mit vielen Blumen, Lichtungen mit neuen Ausblicken auf die Landschaft.
Auch heute durchquere ich viele, meist neuere kleine Orte, sehe der Landbevölkerung bei der Arbeit im Gemüsegarten zu, beobachte, wie ein Maisfeld durch ein Maultier, das eine Egge zieht, bearbeitet wird. Die Menschen hier sind wortkarg, nicht alle erwidern meinen Gruß: »Buenas dias.« Offensichtlich sind viele von der großen Anzahl der Pilger, die hier täglich entlanglaufen, genervt, was ich durchaus verstehen kann.
Im Schatten eines großen, gummibaumähnlichen Baumes mache ich Rast und muss wieder
Weitere Kostenlose Bücher