Wenn nichts mehr ist, wie es war
fortgeschritten war. Der Blick auf die Uhr über dem Kamin verriet ihr, dass es b e reits zehn Uhr war. Erst jetzt begriff sie, dass sie das Sofa seit dieser ereignisre i chen Nacht nicht mehr verlassen hatte. Dennoch hatte sich seit letzter Nacht etwas verändert. Sie brauchte einen M o ment, bis sie darauf kam. Die Wärmequelle war nicht mehr dieselbe. Man musste kein Genie sein, um zum Resu l tat zu ko m men, dass Jérémie inzwischen bereits seit einiger Zeit bei der Arbeit sein dürfte . Aber zuvorkommende r weise hatte er sie mit einer kuscheligen Decke zugedeckt, bevor er das Haus verla s sen hatte. Ein seliges Lächeln breitete sich auf Beths Gesicht aus. Egal, was jetzt werden würde, die letzte Nacht würde sie nie ve r gessen. Im Geg enteil, sie schrie nach einer W i e derholung. B e schwingt schlang sich Beth die Decke um den Körper und wollte vom Sofa hüpfen. Die Schmerzen, die sich unmittelbar nach di e sem Vorhaben mit ganzer Macht meldeten, sorgten für ein kleines Fluchko n zert und holten die Erinnerung daran zurück, dass der Tag gestern nicht nur G utes zu bi e ten gehabt hatte.
Nach einer ausgiebigen Dusche schlüpfte sie in ihre Kle i dung und war soeben damit beschäftigt ihr Haar mit dem Handtuch trocken zu rubbeln, als es an der Tür klingelte. Alle Vorsicht , zu der sie Jérémie gemahnt hatte, war vergessen, weshalb sie ganz autom a tisch zu r Tür ging und öffnete. Der Mann , der vor der Tür stand , schlüpfte umgehend an ihr vorbei in das Haus, bevor Beth übe r haupt reagieren konnte. Er schob sich zw i schen sie und die Tür und schnitt ihr so den Weg nach draussen ab, um sie dann ohne ein Wort Schritt für Schritt in die Ecke zu drängen . Beths Instinkt riet ihr zur Flucht, doch die Angst läh m te sie zu sehr, als dass dies möglich gewesen wäre. Mit aller Macht zwang sie sich, wieder Herr über ihren Körper zu werden. Langsam nahmen i hre Sinne den Dienst wieder auf. So konnte Beth bei genauerem Hinsehen dann auch die Ähnlic h keit zwischen dem Gesicht, das sie auf dem Foto ihrer Tante gesehen hatte und d em Mann , der vor ihr s tand , au s machen.
„Henry?“ , f ragte sie vorsichtig.
„Kluges Mädchen.“
„Was wollen S ie hier? Inspecteur Russeau ist nicht da.“ Sie ging davon aus, dass er das sowieso schon wusste und genau dieses Wissen der Grund seines Eindringens war , aber sie musste Zeit gewi n nen.
„Gut so, ich wollte sowieso zu dir. “
Beth blickte ihm direkt in die Augen. Sie erwartete etwas wie Wut oder Aggress i on zu sehen , doch was sie sah, beängstigte sie weit mehr. Es war en Schmerz und bla n ker Hass.
„Ich wusste, ich sollte die Finger von deiner Tante la s sen. Aber wie eine schwarze Witwe hat sie mich erst umgarnt und als sie mich wieder soweit hatte, begann sie, mich Stück für Stück aufz u fressen. Schon mein ganzes Leben lang taucht deine Familie i m mer wieder auf und hinterlässt einen Pfad der Ze r störung. Könnt ihr mich nicht einfach in Ru he lassen? Was wollt ihr? Müsst ihr mich auch zuerst im Grab sehen, bevor ihr au f hört?“
„Henry, ich verstehe kein Wort!“ Sie wünschte, er könnte irgen d wie sehen, dass sie absolut keine A h nung hatte, wovon er sprach.
„Ach nein? Du gehörst genauso dazu! Auch du willst nichts and e res als mein L e ben zerstören! “ , b rüllte er sie an.
„Das ist doch überhaupt nicht wahr! Wie käme ich denn dazu?“ Verzweifelt wollte Beth Henry klar m a chen, dass sie keine bösen Absic h ten hatte. Inzwischen stand sie mit dem Rücken zur Wand, wie ein Tier in der Falle. Henry war wesentlich grösser als sie und stand bedrohlich über sie gebeugt, seine Arme seitlich ihrer Schu l tern an die Wand g e stemmt.
„Willst du mich für dumm verkaufen? Hinterlistig h ast du dich nach und nach inmitten der operierenden Zelle g e schlichen und verseuchst sie von innen. Jedes Mittel scheint dir recht zu sein, vor nichts machst du halt. Aber eines muss ich dir lassen, du scheinst dein Spiel zu beherrschen, der kleine Bulle mag vielleicht anfä l lig sein auf eine kleine Hure wie dich, aber sowenig Verstand, dich in sein Bett zu lassen, hätte ich ihm nicht zuge t raut.“ Er schrie jetzt nicht mehr. Doch die tiefe Drohung, die in den vermeintlich ruhig ausgesproch e nen Worten lag, schüchterte Beth nur noch mehr ein . Sie musste sich beherrschen, um nicht gnadenlos in Heulkrämpfe und Panik auszubrechen, denn dann hätte sie auf jeden Fall verl o ren.
„Henry, ich…“
Aber Henry
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