Wenn nur dein Lächeln bleibt
etwas weiter auseinander gespreizt, damit die Gelenkköpfe richtig in die Gelenkpfannen hineinwachsen konnten. Das war kein schöner Anblick, und ich muss te mich zwingen, nicht in Tränen auszubrechen.
»Ihre Kleine hat sich schon daran gewöhnt«, tröstete mich die Kinderschwester, die mit einem Quietschent chen mein Kind bespaßte. »Schauen Sie nur! Sie reagiert!« Tatsächlich drehte meine kleine Anja ihr Köpf chen und folgte der Schwester statt dem Klang meiner Stimme. Es tat mir weh, das zu sehen, trotzdem zwang ich mich zu glauben, dass das ein gutes Zeichen war.
»Die Spreizerei sieht schlimmer aus, als sie ist!«, tröstete mich auch die patente Kinderärztin. »Aber es muss sein, denn Sie wollen doch, dass Ihr Töchterchen eines Tages laufen kann?«
»Ja, natürlich«, beteuerte ich. »Dafür würde ich alles tun!«
»Na, dann müssen Sie uns einfach nur vertrauen.«
Das hatte ich schon oft gehört. Aber ich zwang mich, daran zu glauben. Anja fühlte sich wohl in der Klinik. Ihr fehlte es an nichts. Man kümmerte sich um sie. Man tat ihr nicht unnötig weh. Nach endlosen sechs Wochen durfte ich sie nach Hause holen.
10
» A ngela? Bist du da? Beeil dich, im Konsum haben sie heute Apfelsinen!«
Meine Nachbarin Renate stand wieder mal vor der Wohnungstür, aufgeregt, mir eine solche Nachricht überbringen zu können.
»Nee du, ich kann nicht. Ich habe gerade meine Anja aus der Klinik geholt.«
»Oh! Toll! Wahnsinn! Ich meine, lass sehen!«
»Aber erschrick nicht, Renate. Sie ist ziemlich eingegipst.«
»Och, das macht mir nichts aus, du. Dann legen wir sie in den Kinderwagen und gehen zusammen zum Konsum.«
Fröhlich plaudernd betrat Renate den Flur, um dann in der Wohnzimmertür wie angewurzelt stehen zu bleiben.
»O mein Gott!«
Renate prallte regelrecht zurück. Sie schlug die Hände vors Gesicht, und plötzlich zuckten ihre Schultern. Sie weinte.
Renate weinte. Ratlos sah ich zwischen ihr und meinem Kind hin und her. Jetzt erst nahm ich Anja mit Renates Augen wahr: Wie hilflos sie dalag, und mit so unnatürlich weit gespreizten Beinen, dass eine Tänzerin sie um diesen Spagat beneidet hätte.
»Wie hält sie das aus?«, fragte Renate erschüttert.
»Ich habe keine Ahnung!« Plötzlich musste ich auch weinen.
Da standen wir Nachbarinnen – Renate schon in Anorak und Schnürschuhen, wollte sie doch die ersehnten Apfelsinen ergattern, die sicher in einer halben Stunde ausverkauft sein würden – und heulten uns die Augen aus.
»Sie hat die Beine schon seit sechs Wochen in Gips!«
»Wie kann sie das ertragen? Kinder wollen sich doch bewegen, Babys müssen doch strampeln, etwas anderes können sie doch gar nicht tun …«
»Schau nur, sie lächelt!«
Tatsächlich schien der Gips Anja gar nichts mehr auszumachen.
»Wie schnell Kinder sich an so etwas Grausames gewöhnen«, sinnierte Renate, während sie sich die Nase putzte.
»Weißt du was? Wir gehen jetzt trotzdem Apfelsinen ergattern«, sagte ich tapfer.
»Wie willst du das denn machen? Sie hier liegen lassen?«
»Nie und nimmer!« Wie konnte Renate nur so etwas denken! »Wir nehmen Anja natürlich mit!«
»Aber die kriegst du doch nicht in den Kinderwagen.«
»Wenn du mir hilfst, schon.«
»Aber beeil dich, die Apfelsinen …«
Ich war so dankbar, dass Renate mir in diesem Moment zur Seite stand! Hastig zogen wir das Kind an und versuchten, es in den Wagen zu bugsieren.
»So geht das nicht!«
»Dann lassen wir eben das eine Bein rausstehen!«
»Wie sieht denn das aus!«
»Ist doch egal!«
»Mach schon!« Halb kichernd, halb schluchzend schleppten wir das Bündel Mensch, das zufrieden in die Welt blickte, im Kinderwagen die Treppen hinunter.
»Kennst du die Geschichte vom kleinen Häwelmann?«
»Nein!«
»Der liegt in seinem Bettchen, lässt ein Bein rausstehen, hängt seine Bettdecke als Segel dran und fährt so zum Mond!«
»Sehr witzig!«
»Leuchte, alter Mond, leuchte!«, versuchte ich mir ein Beispiel an Häwelmanns Selbstbewusstsein zu nehmen.
Lachend trippelten wir hinter unserer kleinen Häwelfrau her.
»Beeil dich, die Schlange vor dem Konsum geht schon um zwei Straßenecken!«
»Wie die Leute gucken!«
»Ist mir doch egal!«
Keuchend und durchgeschwitzt erreichten wir schließlich das Lebensmittelgeschäft und reihten uns in die Warteschlange ein. Die Leute warfen verstörte Blicke auf mein entstelltes Kind. Anschließend fixierten sie mich. Du Rabenmutter, was hast du nur mit dem armen Kind
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