Wenn nur dein Lächeln bleibt
Brief schreiben. Schließlich hatte ich studiert und war der deutschen Sprache mächtig. So sachlich und höflich wie möglich teilte ich dem höchsten General des Wehrkreiskommandos mein Unverständnis über die Entscheidung des Offiziers mit und bat um Gnade für meinen Mann. Am liebsten hätte ich mit einer Heftklammer noch einen Fetzen meines vereiterten Verbands und einen von Anjas vollgeschissener Windel dazugeheftet – als »Beweismaterial«. Darauf standen die Burschen doch, oder nicht?! »Bernd Hädicke tut doch nur, was jeder Vater auf dieser Welt tun würde!«, appellierte ich an den gesunden Menschenverstand seines Vorgesetzten. »Er kümmert sich um Frau und Kind, die ohne ihn verloren wären! Das ist ein menschlicher Urtrieb, der sogar bei den Tieren anzutreffen ist!« Ich fand mein Werk gelungen. Dagegen konnten sie nichts einwenden.
Konnten sie aber doch. Zuerst einmal konnten sie mich monatelang auf eine Antwort warten lassen, und natürlich erst recht auf ein Lebenszeichen meines Mannes. Ich wollte mir lieber nicht ausmalen, in welcher nasskalten Zelle er vor sich hin vegetierte. Hätte ich darüber nachgedacht, wäre ich mitsamt Anja aus dem Fenster gesprungen.
Schließlich kam ein schleimiges Schreiben aus der Feder eines dieser Berufs-Heuchler, der dafür bestimmt mit dem Nobelpreis für Tatsachenverdrehung ausgezeichnet worden ist:
»Geschätzte Genossin Hädicke, NATÜRLICH verstehen wir Ihre Notsituation, und deshalb haben wir auch einen schönen Heimplatz für Ihre behinderte Tochter gefunden: In der Heilanstalt ›Stilles Leben‹ in Eisengitter an der Pritz. Dort kann sie gerne auf Staatskosten in einem Sechsbettzimmer mit anderen schwerstbehinderten Kindern wohnen. Wir übernehmen auch die zuverlässige Dosierung der Beruhigungspillen. Und SIE verstehen sicher, dass keiner unserer Wehrdienstpflichtigen eine Ausnahmegeneh migung zum Heimfahren zu Frau und Kind bekommt. Wo kämen wir denn da hin, wenn Krieg wäre? Einer hat die Masern, die andere bekommt einen Zahn, und wieder andere haben einfach nur Hochzeitstag. Und inzwischen macht der Feind mit uns, was er will! Haha! NICHT mit uns! Mit proletarischem Einheitsgruß, Oberstleutnant Ernst Heuchler, Abteilung zynische Lügenbriefe zur Gleichmachung und Unterwerfung aller Bürger.«
12
Bernd war nicht lange in Einzelhaft. Offensichtich war er durch seine sympathische Art in der Kaserne sehr beliebt. Nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, fackelte Bernd nicht lange und verließ fast jeden zweiten Abend durch irgendwelche geheimen Ausgänge die Kaserne. Seine Liebe und Sehnsucht zu uns war einfach stärker als die Angst vor neuen Sanktionen. Ein Kumpel, ich meine natürlich ein treuer Genosse namens Karl-Heinz, lieh ihm sein Motorrad, und so bekam Madame Hädicke nachts ziemlich regelmäßig Herrenbesuch. Natürlich musste Bernd das laut knatternde, stinkende Ding die letzten zweihundert Meter bei ausgeschaltetem Motor schieben. Er versteckte den Brummer irgendwo bei Freunden hinter einer Hecke, denn sonst hätte Madame Kraller aus dem 13. Stock sicher wieder was zu melden gehabt. Und Neid macht bekanntermaßen Falten. Das wollten wir natürlich nicht.
Man kann sich auch leise lieben. Und leise freuen.
Und dann kam der Tag seiner Entlassung! Nach achtzehn unerträglich langen Monaten hatte Bernd fertig gedient. Er durfte wieder nach Hause, ganz legal! Endlich, endlich waren wir wieder vereint, mussten nicht mehr flüstern, durften ganz normal die Wohnungstür benutzen und uns zu zweit mit dem Kinderwagen auf der Straße sehen lassen.
Ich hatte das tägliche Training mit unserem kleinen Mädchen nicht ein einziges Mal vernachlässigt. Außerdem hatte ich Anja in sämtliche häusliche Tätigkeiten mit einbezogen, erklärte ihr die Spülbürste und moderierte die Klobürste an, ließ sie an den frisch gespülten Tellern riechen und das weiche Lätzchen an der Wange spüren, schwatzte den ganzen Tag mit ihr – und brachte ihr alle Schimpfwörter bei, die mir zu Frau Kraller im Besonderen und unserem tollen Staat im Allgemeinen einfielen. Wie gut, dass sie die nicht lautstark im Treppenhaus wiederholte! Ich sang ihr etwas vor, reimte und alberte, denn erstens war niemand sonst da, mit dem ich reden konnte, und zweitens stimulierte das alles die Gehirnzellen meines Mädchens. Und so konnten wir beiden Leistungssportlerinnen unserem geliebten Mann stolz vorführen, was wir schon konnten:
Über die Matte robben.
Auf allen vieren durchs
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