Wenn nur dein Lächeln bleibt
entgegenfiel.
»Passssnssse doch auf!«, lallte der Mann und griff nach seinem Arztkoffer. »Nnnnich so ssssdürmisch.«
»Bernd! Sie stirbt mir!«, brüllte ich verzweifelt aus dem Fenster.
»Wo brennndsnnn?«
»Unser Kind hat einen Krampfanfall. Kommen Sie schnell!«
Der betrunkene Notarzt stolperte hinter Bernd die ausgetretenen Stufen zu unserer Kammer hinauf.
»Halllooo, ssschöne Frau«, lallte der Notarzt erfreut, als er mich im Nachthemd auf dem Bett sitzen sah.
Dann begann er doch glatt eine belanglose Unterhaltung: Wer wir denn seien, wo wir herkämen, ob es uns hier gefiele, und ob unser Kind »das immer hätte«.
»Sie braucht Faustan!«, brüllte Bernd. »Eine krampf lösende Spritze!« Zur Verdeutlichung hielt er ihm seine Faust unter die Nase.
Wenn er jetzt sagte, »Die gibt’s hier nicht«, hätte ich ihn eigenhändig mit meinem Kopfkissen er schlagen.
»So einfach geht das nich«, lallte der Arzt. »Mussi ersma das Kind undasuchn.«
In aller Seelenruhe begann er unsere Anja abzuhorchen, abzutasten und ihre Zunge zu inspizieren. Dann legte er seinen stoppeligen Kopf auf ihre Brust.
Ich hielt Anja fest, so gut ich konnte, und drehte den Kopf weg, um seine Fahne nicht riechen zu müssen.
Ups! Was war denn das? Träumte ich schlecht? War das Absicht oder ein Versehen … Plötzlich streifte dieser Kerl doch glatt meinen Busen!
»Oh. Hoppla. Also, dann wolln wa mal die Sbbbridse aufziehn …«
Bernd stand hinter ihm und kontrollierte, wie weit der Mann die Spritze aufzog und ob er die überschüs sige Luft vorher hinausdrückte. Hätte er unserer Anja Luft in die Vene gespritzt, wäre sie qualvoll gestorben. Am liebsten hätte Bernd diesen Kerl zu Boden geschlagen, aber wir waren auf ihn angewiesen.
Anja entspannte sich wieder. Kein Wunder, Bernd hatte dem Arzt ja quasi die Hand geführt.
»Wirklich toll, dieses medizinische Personal«, sagte Bernd, als der Kerl wieder in seinen Trabi gestiegen und davongeknattert war.
»Wirklich ein entspannender Mutti-Kind-Urlaub«, seufzte ich.
Wir saßen nebeneinander im Bett. Unsere Hände fanden sich. »Danke, dass es dich gibt«, flüsterte ich müde.
»Danke, dass es DICH gibt«, gab Bernd zurück.
16
Als Anja fünf Jahre alt wurde, kam sie in eine neue Tages-Behinderteneinrichtung. Unsere Hoffnung, sie irgendwann in einen normalen Kindergarten oder auf eine Sonderschule schicken zu können, hatte sich nach den Krampfanfällen zerschlagen. Die körperliche und geistige Entwicklung unserer Tochter war seitdem stehen geblieben. Ausgerechnet jene Ärztin, die das Dilemma durch ihre unüberlegte Dreifachimpfung überhaupt erst ausgelöst hatte, beschwor uns immer wieder, doch einen Heimplatz für Anja anzunehmen. Sie kam sich sogar noch großzügig vor, weil sie diesen kostbaren Heimplatz doch extra für unsere Anja frei gehalten hatte!
»Andere Eltern würden sich alle zehn Finger danach ablecken!«
Das sollten sie gerne tun. Aber wir waren so undankbar, dieses großzügige Angebot unseres Staates abzulehnen.
»Ins Heim abschieben? Niemals!«
»Aber Sie können sie doch am Wochenende abholen!«
»Nein. Unsere Anja würde eingehen vor Heimweh.«
Und so war diese Tagesstätte für Behinderte die beste Lösung. Nur EINEN Haken hatte sie: Sie lag in der Fußgängerzone. Es war völlig unmöglich, Anja mitsamt Rollstuhl und dem ganzen Equipment dreihundert Meter durch die Fußgängerzone zu schleppen!
Tatsächlich bekam Bernd für sein Auto (denn auch das hatten wir inzwischen!) eine Sondergenehmigung. Wir hatten das wirklich nicht zu hoffen gewagt! Frühmorgens vor der Arbeit fuhr Bernd Anja zur Tagesstätte. Die Anwohner, die gelernt hatten, dass nur das zählt, was auf Vorschriftstafeln steht, waren erbost. Jeden Morgen wurde mein armer Bernd beschimpft: »Das ist eine Fußgängerzone! Kannst du nicht lesen, Idiot!«
»Fauler Sack! Wir zeigen dich an!«
Bernd seufzte, stieg aus, erklärte, rechtfertigte sich. Zeigte auf sein Sondergenehmigungsschild, das vorne hinter der Scheibe deutlich zu sehen war. Zeigte auf Anja, die hinten im Kindersitz hing, und zeigte auf den zusammengeklappten Rollstuhl.
»Wenn das jeder machen wollte!«
»Gleiches Recht für alle!«
Einmal spuckte sogar jemand gegen die Scheibe.
Da platzte selbst meinem Bernd der Kragen. Er nahm Anja aus dem Auto und drückte sie dem völlig verdutzten Mitbürger in die Arme. »So! Und dann nehmen Sie bitte noch alles, was auf der Rückbank liegt – also die
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