Wenn nur noch Asche bleibt
eine Kleinigkeit, dann ruf mich an. Ich habe das Handy immer bei mir.“
„Okay.“
„Gute Nacht. Und … es tut mir leid. Wir sehen uns morgen.“
„Erklärst du mir dann alles?“
„Vielleicht.“ Er legte auf und gab Gas, jeden intensiveren Gedanken ausklammernd. Nach nicht einmal zehn Minuten errichte er sein Ziel in Rekordzeit. Die Uhr des Wagens zeigte in blau leuchtenden Ziffern 01:35 Uhr an, als er den Land Rover vor Rebeccas Haus parkte. Die Straße samt ihrer Perlenschnur aus pastellfarbenen Villen schlummerte in nächtlicher Idylle. Das Haus seiner Freundin erinnerte an jenes, in dem Elena ihre Wohnung bezogen hatte, mit der Ausnahme, dass es deutlich größer und wuchtiger war und nicht weiße, sondern braune Fensterrahmen besaß. Clematis rankte auf der östlichen Seite des Hauses empor, eine gewaltige Kiefer hatte ihre Äste inzwischen bis zur Dachrinne ausgestreckt. Im Vorgarten standen zwischen üppig blühenden Pfingstrosen, Fliederbüschen und Lilien mehrere Korkenzieherweiden, die ihn schmerzvoll daran erinnerten, wie sehr er den Tempel vermisste. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass ihm jede Kontrolle entglitt. Was, wenn Rebecca oder Elena etwas widerfuhr? Was, wenn man sie wirklich als Köder benutzte oder ihnen gar das antat, was Mary hatte erleiden müssen?
Die Schuld würde untragbar sein.
Als Daniel an der Haustür klingelte, wünschte sich der egoistische Teil in ihm zurück in die friedvolle Stille der chinesischen Berge. Er wollte wieder auf dem Moos unter dem Heiligen Baum sitzen und seinen Geist auf Reisen schicken. Im Schatten uralter Pagoden, den Duft von Zedern einatmend. Weit entfernt von den schmerzvollen Ausdünstungen der Zivilisation.
In seinem Geist spürte er eine sanfte, tröstende Berührung. Es war die Seele des Mayas. Sie vermittelte ihm Kraft, und jetzt, da er Moa’ris Geschichte kannte, empfand er nichts als Mitgefühl für ihn. Zwei Geplagte in einem Körper. Fast ließ ihn diese Vorstellung lächeln.
„Oh, Daniel, es tut mir so leid.“ Rebecca riss die Tür auf und fiel ihm in die Arme. „Du solltest zu Hause sein und dich ausruhen. Stattdessen musst du durch die Nacht hetzen, um ängstlichen Frauen beizustehen.“
„Kein Problem.“ Er wurde in das Haus hineingezogen und die Treppe hinaufgeführt. „In deinem Fall weiß ich ja, dass die selbstlose Hilfe auf Gegenseitigkeit beruht.“
„Möchtest du einen Kaffee? Oder einen Tee? Wie war deine Schicht?“
„Lieber einen Tee. Der Tag heute war … na ja, nicht einfach.“
„Wegen deiner neuen Partnerin?“
„Nein.“ Daniel betrat Rebeccas Wohnzimmer, nahm das Handy aus der Tasche, zog sein Jackett aus und warf es über die nächste Sessellehne. Dann ließ er sich mit einem tiefen Seufzer in das Sofa fallen. Er mochte dieses Haus für sein charmantes Großmutter-Chaos. Sämtliche Einrichtungsgegenstände waren auf Geratewohl miteinander kombiniert, doch gerade dieses über viele Jahrzehnte angehäufte Sammelsurium erfüllte die Räume mit Behaglichkeit. Leider half sie ihm heute nicht weiter. Seine Hand umklammerte das Handy. Er rechnete damit, dass es jeden Augenblick zu brummen anfing.
„Du möchtest nicht darüber reden?“, brachte sie es auf den Punkt. „Ist es das?“
„Unser Einsatz war nicht sehr erbaulich“, antwortete er ausweichend. „Und meine Partnerin ist …“ Wie sollte man es ausdrücken? Elena war eine Frau, die in den unpassendsten Situationen durch lebensmüde Furchtlosigkeit glänzte und im nächsten Atemzug daherkam wie ein verletzliches, hilfloses Kätzchen. „Sie ist speziell.“
Er befreite sich von Krawatte und Schulterholster. Seine Waffe drapierte er so auf dem Beistelltischchen, dass er blitzschnell danach greifen konnte.
„So, so. Speziell. Es gibt Schlimmeres, oder?“ Rebecca stutzte, als er mit zusammengebissenen Zähnen seinen Bauch abtastete. „Was ist passiert?“
„Nichts.“ Daniel entschied, es darauf ankommen zu lassen. Unter den neugierigen Blicken seiner Freundin schälte er sich aus Hemd und schusssicherer Weste, um Ersteres wieder anzulegen. Erleichtert atmete er ein paar Mal tief durch. „Nur eine kleine Schießerei. Nichts, womit wir nicht permanent rechnen müssen.“
„Ungeschönt ausgedrückt bist du angeschossen worden und wärst ohne deine Weste draufgegangen.“
„Alte Dramatikerin.“
„Willst du eine Schmerzsalbe?“
„Und du möchtest sie mir einmassieren, stimmt’s?“
Rebecca wiegte mit diebischem Grinsen den
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