Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
Vom Netzwerk:
am Spieß gebraten.“
    Die Frau kicherte. Sie kratzte über ihre hochroten Wangen, atmete tief ein und sank mit einem Laut ängstlicher Resignation in sich zusammen. Alles an ihr war wie ein Schatten. Wie das Negativ einer einstmals sehr lebendigen, lebensfrohen Person.
    Wenn du nicht aufpasst, säuselte eine boshafte Stimme in Elena, wirst du genauso enden. Nichts leichter als das.
    „Am Anfang“, begann Christine zögerlich, „war ich davon überzeugt, alles sei in Ordnung. Am Anfang fühlte ich mich bei denen wie zu Hause.“
    Hektisch zupfte sie an ihrem Ohrläppchen. Ihr Kopf ruckte hin und her, als litte sie an Epilepsie. So machte das keinen Sinn. Dieses Mädchen war viel zu nervös, um eine vernünftige Aussage abzuliefern.
    „Kaffee?“, fragte Elena mit sanftem Lächeln, abgekupfert von Daniels Buddha-Figur. „Tee? Oder etwas Kaltes?“
    „Kaffee, bitte. Sehr stark.“
    „Kommt sofort. Mit Zucker oder Milch?“
    „Schwarz bitte. Mit Zucker.“
    Sie legte den Weg zum Automaten in Rekordzeit zurück, füllte eine Tasse mit extra starkem Gebräu, legte ein paar Päckchen Zucker auf die Untertasse und rannte zurück.
    „Bitte sehr. Also, wo waren wir stehen geblieben?“
    Christine nahm einige Schlucke, schien die kläglichen Reste ihrer Selbstsicherheit zusammenzukratzen und musterte Daniel über den Rand ihrer Tasse hinweg.
    Abgesehen davon, dass dieser Mistkerl trotz seiner Übernächtigung unverschämt gut aussah, strahlte er eine Aura in sich selbst ruhender Kraft aus und damit etwas, nach dem Menschen wie diese Frau gierten. Wonach sie sich sehnten wie nach einem Licht in der Finsternis. Elena durfte es ihr nicht übel nehmen. Ebenso gut hätte sie einen Ertrinkenden für seinen Griff nach dem Rettungsseil verdammen können.
    „Am Anfang“, wiederholte Christine, „war alles in Ordnung. Ich lernte ihn nach einer Kinovorstellung kennen.“
    „Ihn?“, hakte Elena nach. Ihr Bein begann so heftig zu wippen, dass der Schreibtisch zitterte. „Wen meinen Sie?“
    „Das Oberhaupt der Sekte.“
    „Wie ist sein Name? Wie sieht er aus?“
    „Seinen Namen hat er nie genannt. Er ist groß, schlank und drahtig. Ich schätze ihn zwischen fünfzig und sechzig, aber seine körperliche Verfassung ist für dieses Alter ziemlich bemerkenswert. Er muss ein Leistungssportler oder so was sein. Sein Haar ist grau meliert, seine Geheimratsecken ziemlich ausgeprägt. Er trägt immer eine Sonnenbrille, und damit meine ich wirklich immer. Nur ein Mal nahm er sie ab, als Vertrauensbeweis mir gegenüber. Seine Augen waren weiß und tot. Er war blind, hat mir aber nie verraten, warum. Ich nehme an, dass es ein Unfall war, denn man sah Narben, die um seine Augen herum verliefen. Und Narben auf seiner rechten Wange. Trotzdem merkte man ihm nicht an, dass er blind ist. Keine Ahnung, wie das möglich ist, aber er bewegt sich, als könnte er sehen wie jeder andere Mensch. Selbst in der bevölkerten Innenstadt. Manchmal hörte ich, wie man ihn den Mann mit den toten Augen nannte, aber ich verabscheute diese Bezeichnung. Sie klang unheimlich, und unheimlich war er nicht. Zumindest nicht am Anfang. Für sein Alter sah er ziemlich gut aus. Nicht auffällig gut, eher auf diese schlichte, angenehme Art, wissen Sie? Alles an ihm ist angenehm. Seine Gesten, seine Stimme, seine Umgangsformen, alles eben. Er ist ein Gentleman vom alten Schlag, vornehm in jeder Hinsicht. Ich mochte die Art, wie er mit mir redete. Nicht viele Menschen reden mit mir. Geschweige denn, dass sie mich verstehen.“
    Elena warf Daniel einen Das-war-ja-so-klar-Blick zu, den er mit einem Zusammenkneifen seiner Augen beantwortete. Vermutlich durfte sie das als Tadel interpretieren.
    „Er wusste, wie mir zumute war, verstehen Sie?“ Christine griff nach einem der Stifte, die in einer silbernen Tasse steckten. Er war geformt wie eine smaragdgrüne Eidechse, aus deren Schwanzspitze die Mine ragte. Versunken betrachtete sie die bunten Schuppen des Stiftes. „Ich habe mich nie zugehörig gefühlt. Ich habe immer das Gefühl, mehr zu wissen als andere, mehr zu sehen.“
    „Zusammenhänge erschließen sich Ihnen instinktiv, während andere lange darüber nachdenken müssen?“ Etwas Undefinierbares huschte durch Daniels Augen. „Sie verfügen über einen großen Schatz an Wissen, der einfach in Ihnen zu ruhen scheint. So als hätten sie schon zahllose Erfahrungen sammeln können? Oder besser gesagt, als hätten Sie schon viele Leben gelebt?“
    „Ja.“

Weitere Kostenlose Bücher