Wenn nur noch Asche bleibt
eiskalten Hauch, der Elena packte und ihren Nacken hinuntersickerte . Weder die hübschen, grüngoldenen Polster der Sessel noch der duftende Kaffee, der fünf Minuten später auf einem Silbertablett vor ihr stand, konnten diese Beklemmung mildern. Sie fühlte sich wie ein Beutetier in der Höhle des Löwen. Ausgeliefert, zur falschen Zeit am falschen Ort. Sanftmut und Höflichkeit waren nur Masken, um eine hässliche Fratze zu verbergen. Sie musste an eine fleischfressende Pflanze denken, die ihre Opfer mit all dem verführte, wonach es hungerte. Duft, Farben, Üppigkeit. Doch schnappte sie zu, gab es kein Entrinnen. Bei lebendigem Leib verbrannt zu werden, war nicht grausamer, als seine eigene Verdauung mitzuerleben.
Ihr wurde übel. Sie musste hier weg! Weg, weg, weg! Nein, schalt sich Elena im nächsten Moment, sie durfte ihrem Überlebenstrieb nicht nachgeben. Von ihr hing es ab, ob das Treiben dieses Monsters beendet wurde. Daniel beschützte sie. Er lauschte jedem Wort. Er beobachtete und wartete.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Gleich würde es ihren Brustkorb sprengen.
Und Tony Durat lächelte.
„Sie sind eine gute Seele“, sagte er. „Ich kann es spüren.“
Der kalte Hauch in ihrem Nacken wurde zu einem Eispickel. Und deine Seele ist eine stinkende Klärgrube. „Danke. Ich tue mein Bestes.“
Momentan waren die Kaffeetasse und der Gedanke an Daniel das Einzige, das Elena davor bewahrte, die Kontrolle zu verlieren. Sie trug zwar eine kleine 22er bei sich, versteckt in einem Halfter unter ihrem Blazer, doch instinktiv wusste sie, dass ihr das nicht weiterhelfen würde. Durat war kein Mensch. Er war … irgendetwas anderes. Man hatte sie als sprichwörtliches Lamm zur Schlachtbank geschickt. Unter dem Blick dieser blinden Augen erstickte der Zorn, den sie als Barriere zu errichten versuchte. Es war, als saugte Durat ihr jede Kraft aus den Knochen. Als tränke er ihre Seele.
Großer Gott …
Hastig blickte sie beiseite und suchte nach etwas, auf das sie ihre Aufmerksamkeit fokussieren konnte. An der Wand hing ein riesiges Gemälde. Es zeigte Andromeda, festgekettet an einen Felsen. Das Meeresungeheuer stieß mit weit aufgerissenem Maul auf sie herab, und kein Perseus war in Sicht, der auf dem geflügelten Pegasus herbeieilte, um sie zu retten. Würde es ihr genauso ergehen?
„Es gibt Menschen, die sind zu gut für diese Welt.“
Mit einem schwerfälligen Seufzen lehnte sich Durat in seinem Sessel zurück und faltete die Hände im Schoß. Unpassenderweise erinnerte er an einen Heiligen. Sein ruhiges, angenehmes Gesicht, seine sanften Hände, die Stimme. Ihr war klar, was Christine empfunden haben musste. Dieser Mann flößte Vertrauen ein, ließ selbst eine dicke Mauer aus Misstrauen einreißen und höhlte Argwohn aus, bis sich der letzte Zweifel unter dem Säuseln seines Charmes auflöste. Ahnte er, dass sie sein Geheimnis kannte? Wohl kaum. Aber falls es doch so war, sah es schlecht für sie aus.
„Es macht mich traurig“, sprach er. „Menschen wie Sie gehören nicht in diesen Strudel aus Unterdrückung und Skrupellosigkeit. Sie sind wie ein Engel, der von all den schlechten Energien erstickt wird.“
„Ich kann gut auf mich aufpassen.“ Elena bemühte sich, unter Durats bohrendem Blick ruhig zu bleiben. Er konnte sie nicht sehen, und doch gingen ihr seine weißen Augen durch und durch. Vielleicht trank er so die Seelen seiner Opfer. Allein durch dieses furchtbare Starren. „Machen Sie sich keine Sorgen um mich.“
„Sie schweben wie ein strahlender Vogel über allem.“ Tony lächelte verklärt. „Ich sehe Sie in reiner, unverdorbener Schönheit, hinübergehend in eine bessere Welt.“
„Ein strahlender Vogel?“ Elena sah vor ihrem inneren Auge, wie Daniel und seine Männer sich vorbeugten, angespannt bis zum letzten Muskel, auf den Beweis und damit das Zeichen für den Zugriff wartend.
„Kennen Sie die Legende vom Phönix?“, fragte Durat. „Der sterbende Vogel, der verbrennt und aus seiner Asche neu entsteht?“
„Eine schöne Geschichte.“ Elena zwang sich zu einem Lächeln. Adrenalin schoss durch ihre Adern wie ein sengender Cocktail aus Säure. Macht schon!, flehte sie innerlich. Da habt ihr ihn. Das ist doch euer Beweis, oder nicht? Verdammt, holt mich endlich hier raus!
„Interessieren Sie sich für die ägyptische Mythologie?“ Durat schien bemerkt zu haben, dass sie ihren Blick auf ein sepiafarbenes Foto der Sphinx richtete. Ob er sie vielleicht doch erkennen
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