Wenn plötzlich die Angst kommt: Panikattacken verstehen und überwinden (German Edition)
entfernt befinden, besonders gut erkennt. Das ist sehr nützlich, wenn man sich in einer Schlacht befindet oder gegen wilde Tiere kämpft (aber nicht, wenn man in einem Büro arbeitet und lesen und schreiben muss). Die unbewussten Steuerungsmechanismen des menschlichen Körpers scheinen so programmiert zu sein, dass sie in einer Gefahrensituation für optimale Sicht in mittlerer Distanz sorgen.
ÜBEREMPFINDLICHKEIT
Ich wurde überempfindlich, konnte keinen Lärm mehr ertragen und keine Berührungen. Auch nicht, dass der Fernseher an war. Ich konnte es nicht ertragen, die Laken auf meinem Bett zu spüren – noch nicht einmal die Haare auf meinem Kopf.
(J. S.)
Wenn wir große Angst haben, sind wir viel wachsamer als sonst und reagieren viel empfindlicher auf Licht und Geräusche. Schon das Klingeln des Telefons lässt uns zusammenfahren. Wenn wir so empfindlich sind, dann reagieren wir oft auch sehr gereizt auf die Menschen um uns herum. Man hat mir von zwei Soldaten erzählt, die von einem Einsatz in Nordirland zurückgekehrt waren und zu Hause in England eine Straße entlanggingen. Ein Auto, das in ihrer Nähe stand, hatte beim Anlassen eine Fehlzündung. Es gab einen lauten Knall, und beide warfen sich unverzüglich zu Boden. Es ist sehr nützlich, hypersensibel zu sein, wenn Kugeln in der Gegend herumfliegen und hinter jeder Ecke Gefahr lauert. Der erhöhte Adrenalinspiegel in unserem Blut hilft uns, schneller zu laufen und besser zu sehen und zu hören. Das Adrenalin befähigt uns dazu, Gefahren besser zu erkennen und schneller auf sie zu reagieren – wenn wir es jedoch nicht verbrauchen, dann empfinden wir die intensiven Sinneseindrücke, die unkontrolliert auf uns hereinstürzen, als sehr belastend.
BÖSE VORAHNUNGEN
Manchmal haben Menschen in einer Paniksituation das schreckliche Gefühl, dass etwas Grauenhaftes, Unheilvolles geschehen wird. Da es bei der Angstreaktion darum geht, Gefahren zu erkennen und Tod und Verletzung zu entgehen, ist es nicht verwunderlich, dass Betroffene in dieser Situation auch Ahnungen von drohendem Unheil und Zerstörung haben. Dazu kommt noch die Angst vor dem, was ihnen während der Panikattacke Schreckliches passieren könnte.
KONZENTRATIONSVERLUST
Ich versuche mich auf die Unterhaltung zu konzentrieren, die gerade stattfindet, denn wenn man so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, neigt man dazu, innerlich abzudriften. Du driftest ab in deineeigene kleine Welt – wie du dich fühlst, wie schnell dein Herz schlägt und das alles.
(Y. A.)
Es fällt den Betroffenen sehr schwer, sich auf Dinge wie Lesen oder Gespräche zu konzentrieren, weil sie so viel Energie darauf verwenden, sich mit ihren körperlichen Symptomen zu beschäftigen.
Manche haben während einer Panikattacke auch den Eindruck, dass sie ihre Gedanken nicht kontrollieren können, dass sie keine wohlüberlegten Entscheidungen mehr treffen können und dass ihre Gedanken sich förmlich zu überschlagen scheinen. Das ist nicht verwunderlich, denn die Angstreaktion macht uns überaus wachsam und beschleunigt viele unserer körperlichen Funktionen – auch unser Denkvermögen. Wir müssen unsere ganze Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, woher uns Gefahr droht und wie wir ihr entrinnen können, und können es uns nicht leisten, lange nachzudenken und wohl überlegte Entscheidungen zu treffen. Auch unser Verstand scheint sozusagen auf den Gefahrenmodus umzuschalten – weg mit dem ganzen intellektuellen Kram!
REALITÄTSVERLUST
Fünfzehn bis zwanzig Prozent der Betroffenen leiden unter Gefühlen von Realitätsverlust oder »Depersonalisation«. Sie haben den Eindruck, dass die Welt um sie herum unwirklich oder seltsam ist oder dass sie ein anderer Mensch geworden sind. Ein Mann formulierte es einmal so: »Ich fühlte mich irgendwie unwirklich, so als ob ich nicht dazugehörte, sondern alles nur von außen beobachtete. Meine Stimme kam mir fremd vor, sie schien gar nicht zu mir zu gehören.« Solche Erfahrungen können sehr beängstigend sein und das Selbstvertrauen eines Menschen untergraben. Einige Fachleute sind der Meinung, dass Gefühle von Realitätsverlust eine Möglichkeit sind, sich selbst emotional von der Gefahr zu distanzieren; das ist jedoch nicht eindeutig belegt.
Ist die Angstreaktion gefährlich?
Es gibt noch andere Begleiterscheinungen der Angstreaktion, die ich in diesem Kapitel nicht erwähnt habe, aber ich habe mich bemüht, die wesentlichen Symptome abzudecken. Sie sind alle sehr real
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