Wenn süss das Mondlicht auf den Hügeln schläft
ich bleibe bei meiner Ansicht. Deine nächtlichen Ausflüge schätze ich auch weiterhin nun mal nicht.»
«Ich weiß.» Er lächelte blaß. «Gute Nacht, Tante May. Gute Nacht, Onkel Jocelyn.» Er ging.
«Armer Kerl», sagte Jocelyn.
«Ja.» May nickte. «Armer Kerl.» Sie schaute in das heruntergebrannte Kaminfeuer. Sie hätte den unglücklichen Jungen so gern bemuttert, ihm ein bißchen Trost zugesprochen, doch andererseits wuchs ihre Abneigung gegen ihn. Sie war von Natur aus ein geradliniger, unkomplizierter Mensch, und darum machten solche widerstreitenden Gefühle sie gereizt und unruhig.
«Armer Kerl», wiederholte sie leise, während sie das Zimmer für die Nacht aufräumte, die Kissen aufschüttelte und die Zeitschriften ordnete. «Und keiner von uns kann ihm helfen.»
16
«Was heißt ?» fragte Gaylord.
«Das ist eine Invektive», antwortete Paps.
«Und was ist eine Invektive?»
«Ein Ausdruck, den man für jemanden gebraucht, den man nicht mag.»
Gaylord schaufelte seinen Brei aus Milch und Cornflakes. «Warum ißt Opa keine Cornflakes?»
Opas Frühstück bestand jahraus, jahrein aus Porridge, zwei Scheiben Speck mit Spiegeleiern, einer Scheibe Toast mit Marmelade sowie zwei Tassen Kaffee. Er raschelte erbost mit der Times. «Weil er das verdammte Zeug nicht ausstehen kann.»
«Ich mag es aber», sagte Emma geräuschvoll löffelnd.
«Sieht dir ähnlich», sagte Opa rüde.
Gaylord hatte über etwas nachgedacht. Jetzt sagte er: «Ich mag Miss Plattner nicht besonders. Ist sie ein...»
Mummi fiel ihm hastig ins Wort. «Nein, Liebling. Miss Plattner ist eine sehr nette Dame, auch wenn du nicht viel für sie übrig hast. Der Allmächtige hat sie nun mal als Kinderschreck erschaffen.»
«Und als Elternschreck», murmelte Paps bitter.
Gaylords Logik meldete sich: «Aber Paps hat doch gesagt, daß man jemand, den man nicht besonders mag, einen verfluchten Bastard nennt. »
«Unfug. Das habe ich nicht gesagt.» Paps war entrüstet. Opa hatte seine Zeitung hingelegt. Er funkelte erst Gaylord an, dann funkelte er Paps an und schließlich funkelte er May an. «Für ein Kind seines Alters ist seine Ausdrucksweise eine verdammte Schande.»
«Das mußt du gerade sagen», entgegnete Mummi.
«Ich weiß, was ein Bastard ist», verkündete Emma stolz.
«Emma!» sagte Jenny scharf.
«Was denn?» fragte Gaylord.
«Jemand, der unehelich geboren ist...»
«Was ist unehelich?»
Emma dachte kurz nach. «Unehelich ist, wenn man als Bastard geboren ist.»
Gaylord fand, das sei nun wirklich keine befriedigende Erklärung, wenn er auch im Moment nicht genau sagen konnte, wo es da fehlte. Aber Opa setzte bereits zu einem großen Kommentar an. Er richtete
sich halb aus seinem Sessel auf, warf wütende Blicke auf sämtliche Anwesenden und sagte mit furchterregender Stimme: «Zu meiner Zeit haben Kinder sich am Frühstückstisch nicht über Bastarderei unterhalten.»
«Was ist Bastarderei?» fragte Gaylord.
«Das ist dasselbe wie Bastard, nur noch schlimmer», sagte Emma.
Opa bedachte sie mit einem so vernichtenden Zornesblick, daß sogar sie die Fassung verlor, sich verschüchtert in ihre Cornflakes vertiefte und über den Löffel hinweg nur noch angstvolle Seitenblicke auf Opa riskierte.
«Du hast völlig recht, Schwiegervater», sagte May. «Gaylord, ich will diesen abscheulichen Ausdruck nie wieder von dir hören.»
Gaylord, der die ganze Zeit vergnügt das Wort «Invektive» vor sich hin gesagt hatte, schwieg betroffen. Er schaute Mummi enttäuscht an. «Das klingt aber doch so interessant», protestierte er.
«Ich meinte nicht das Wort », sagte Mummi. «Ich meine dieses andere Wort.»
«Ach so.» Gaylord war erleichtert. Darum war es nicht so schade. Aber natürlich konnte Mummi mal wieder kein Ende finden. «Und bei welchem deiner Freunde hast du dieses sprachliche Juwel aufgegabelt?» Sie musterte Gaylord streng.
Glücklicherweise war Gaylord mit seinen Cornflakes fast fertig. Er kam gerade in das geräuschvolle Stadium, in dem man besonders schön laut mit dem Löffel die letzten Reste von Milch und Zucker aus dem Teller kratzen konnte, wie sollte er da die Frage hören!
Mummi wiederholte sie, diesmal so laut, daß sie seinen Lärm übertönte. Gaylord legte die Stirn in nachdenkliche Falten. Er mußte sein Gedächtnis wirklich sehr anstrengen. Aber es war vergebens. «Ich kann mich nicht erinnern, Mummi.» Er schaute sie mit einem Unschuldsblick an, der
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