Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)
hatte erkannt, wie sehr sie ihn liebte. Rückblickend kamen ihr ihre Zweifel völlig absurd vor, denn all die guten Eigenschaften, die sie anfangs so für ihn eingenommen hatten – seine Stärke, seine Freundlichkeit, sein Humor –, schienen sich noch verstärkt zu haben. Er war der Richtige für sie, davon war sie fest überzeugt. Die Frage war nur, ob er noch das Gleiche für sie fühlte wie früher. Sicher, es dürfte schwer sein, Verlangen für jemanden zu empfinden, dessen Kopf bandagiert war, aber sie fürchtete, ihn mit ihren verletzenden Äußerungen so tief getroffen zu haben, dass er das Risiko kein zweites Mal eingehen wollte.
Es lag an ihr, den ersten Schritt zu machen. Als ihr Vater zu einem einwöchigen Segeltörn aufbrach und Joel zur selben Zeit ein paar Tage freihatte, lud sie ihn für einen Samstagabend zu sich zum Essen ein.
Es war ein heißer, schöner Tag, und Daisy verbrachte ihn größtenteils im Garten, sonnte sich und dachte an den Abend. Als Hauptgericht hatte sie Nudeln mit einer cremigen Garnelensoße, Salat und Knoblauchbrot geplant, zum Nachtisch Erdbeeren mit Schlagsahne. Doch das Essen war nebensächlich, viel wichtiger war ihr Äußeres, fand sie.
Sie wollte für Joel das Mädchen sein, in das er sich fast zwei Jahre zuvor verliebt hatte. Damals war sie eine Wucht gewesen: eng anliegende Kleider, zehn Zentimeter hohe Absätze, eine Femme fatale wie aus dem Bilderbuch. Doch ganz allmählich hatte sie sich verändert, nicht etwa, weil Joel ihre äußere Erscheinung nicht gefallen hätte, wie sie sich eingeredet hatte, sondern weil sie nachlässig und bequem geworden war.
Leicht würde es nicht werden. Nach der Operation, für die man ihr auf der linken Kopfhälfte ein großes Stück hatte abrasieren müssen, war ihr Haar eine einzige Katastrophe gewesen. Der Friseur im Sanatorium hatte es auf der rechten Seite ebenfalls sehr kurz geschnitten und die restlichen Locken so frisiert, dass sie die kahle Stelle teilweise verdeckten. Bei jedem Blick in den Spiegel war Daisy damals schlecht geworden. Doch inzwischen waren die Haare wieder schön nachgewachsen und die Narben nicht mehr zu sehen.
Sie hatte sich das Haar am Morgen gewaschen und in der Sonne trocknen lassen, und jetzt hatte sie zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr aus dem Sanatorium das Gefühl, sich wieder in die alte Daisy zu verwandeln. Gegen sechzehn Uhr ging sie hinein, bereitete das Essen vor und räumte auf. Sie öffnete die Terrassentüren, rückte den Tisch näher heran, deckte ihn und schmückte ihn mit einem Strauß duftender pinkfarbener Rosen aus dem Garten.
Anschließend ließ sie sich ein Bad einlaufen, und als sie sich genüsslich in der Wanne ausstreckte, kehrte das Gefühl von Zufriedenheit und Ausgeglichenheit zurück, das sie zu Lebzeiten ihrer Mutter stets empfunden hatte.
Vor sich hin lächelnd, dachte sie an ihre Teenagerzeit zurück, als sie die Gewohnheiten ihrer Mutter kategorisch abgelehnt und ihre Eltern für schrecklich steif und altmodisch gehalten hatte. Sie erinnerte sich, wie sie Lorna bei den Vorbereitungen für eine Dinnerparty zugesehen und sich gefragt hatte, wozu sie das Silber polierte, Blumen und Kerzen auf den Tisch stellte, die Toilette putzte, die Möbel abstaubte und neue Duftpotpourris verteilte, wenn doch nur Nachbarn und alte Freunde kamen. Nicht im Traum würde ihr so was einfallen, hatte sie einmal getönt. Und jetzt hielt sie es ganz genauso, hatte die gleiche Freude an einem schönen Zuhause und einem Essen, das perfekt aussah und schmeckte.
Es schien, als wäre sie endlich erwachsen geworden. Bei aller Traurigkeit und allem Kummer, die die letzten Monate ihr beschert hatten, hatte sie in diesem einen Jahr doch mehr über sich, ihre Familie und die Welt im Allgemeinen erfahren als in den vorangegangenen fünfundzwanzig Jahren.
»Wow!«, entfuhr es Joel, als Daisy ihm öffnete. »Du siehst hinreißend aus!«
Daisy errötete. Das Kleid aus smaragdgrüner Spitze war alt, und sie war ein bisschen erschrocken, weil es so eng und transparent war, aber wie das Funkeln in Joels Augen zeigte, hatte es den gewünschten Effekt.
»Du siehst aber auch nicht übel aus«, erwiderte sie. Er trug ein weißes Polohemd und eine Baumwollhose. Gesicht und Arme waren sanft gebräunt. Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und stellte fest, dass er so gut roch, wie er aussah.
Sie nahmen im Garten ein paar Drinks. Daisy erkundigte sich nach seiner Arbeit, und Joel erzählte ihr vom
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