Wenn tausend Sterne fallen: Roman (German Edition)

Besuch setzte der Schock ein – mit Albträumen, Fieber und einer bösen Halsentzündung. Nach vierzehn Tagen im Krankenhaus fuhr Daisy drei Wochen zur Erholung in ein Sanatorium in Sussex. Sie wurde schnell müde, hatte grässliche Kopfschmerzen und gelegentliche depressive Phasen, in denen sie mit niemandem reden wollte und stundenlang nur vor sich hin starrte.
    »Auf diese Weise will die Natur Ihnen Zeit geben, mit allem fertig zu werden«, erklärte ihr der Arzt. »Kämpfen Sie nicht dagegen an, Daisy. Lassen Sie den Dingen ihren Lauf.«
    Mit der Zeit wurde ihr klar, was er damit meinte. Sie stöberte in ihrem Gedächtnis, griff Ereignisse, Erfahrungen, sogar Gespräche auf, prüfte sie aufs Genaueste und sortierte sie. Es war wie eine große Aufräumaktion in ihrem Schlafzimmer: Der Müll flog raus, das, woran ihr etwas lag, wurde geputzt und poliert und anschließend ordentlich wieder eingeräumt. Sie stellte fest, dass es ihr nicht mehr Leid tat, nach Ellen gesucht zu haben; sie kannte jetzt die Wahrheit, und so furchtbar sie auch sein mochte: Sie hatte Licht ins Dunkel gebracht.
    Daisy erkannte auch den Wert ihrer Familie. John, Tom und Lucy liebten sie, und sie liebte sie auch. Das war die Hauptsache.
    Josies Tod war ein gefundenes Fressen für die Medien. Reporter belagerten das Haus der Buchans in Chiswick und das Sanatorium, weil sie herauszufinden hofften, welche Verbindung zwischen Daisy und der Toten bestanden hatte. Mit Joels Hilfe gelang es John schließlich, sie davon zu überzeugen, dass es sich lediglich um eine Freundschaft gehandelt habe, die in die Brüche gegangen war. Die »Auferstehung« des totgeglaubten, berühmten Models Jojo, die Tatsache, dass sie ihre Familie ausgelöscht hatte, und ihr Tod lieferten glücklicherweise genug Stoff für Schlagzeilen, sodass die Reporter bald das Interesse an Daisy verloren.
    John sammelte alle Presseberichte, damit Daisy sie, wenn sie psychisch wieder stabil war, lesen konnte. Neben den vielen alten Geschichten aus Josies Vergangenheit, die ausgegraben wurden, erschien auch viel über Ellen. Alte Freunde aus Bristol waren interviewt worden; Fotos von ihr und ihren ehemaligen Schülern wurden veröffentlicht. Sie äußerten sich tief betroffen, als sie erfuhren, wie sie ums Leben gekommen war. Viele wussten ergreifende Geschichten über sie zu berichten.
    Das alles half Daisy, das Bild ihrer Mutter zu vervollständigen.
    Die Polizei rollte den Fall, die Brandkatastrophe auf der Beacon Farm, noch einmal auf, und Mavis’ Theorie schien sich weitgehend zu bestätigen. Der Brandsachverständige erwähnte in seinem Bericht eine ungewöhnlich große Menge Heizöl, die im Haus gelagert worden war, doch man hatte diesem Umstand damals keine Bedeutung beigemessen, weil Albert dafür bekannt gewesen war, dass er das Öl als Brennstoff für seine Lampen im Haus aufbewahrte.
    Der Coroner hatte keinen Anlass gesehen, daran zu zweifeln, dass es sich bei der jungen Frau, deren verkohlte Überreste gefunden worden waren, um Josie handelte. Ein Vergleich der Zahnabdrücke war nicht möglich gewesen, weil keine zahnärztlichen Unterlagen existierten. Anscheinend war keines der beiden Mädchen je bei einem Zahnarzt gewesen.
    Ohne die Liebe und die Fürsorge ihrer Familie und ihrer Freunde wäre Daisy aber wohl kaum wieder vollständig genesen. Vor allem Joel hatte sie viel zu verdanken. Nicht nur, weil er ihr das Leben gerettet und ihr später die Presse vom Hals gehalten hatte, sondern weil er jederzeit für sie da gewesen war, sie zum Lachen gebracht und sie ermutigt hatte, über ihre Gefühle für Ellen und Josie zu sprechen.
    Daisy erzählte ihm von der Biografie, an der Josie angeblich gearbeitet hatte, und fügte hinzu, sie habe Angst, das Buch könne in falsche Hände geraten. Joel nutzte seine Verbindungen. Er fand heraus, welcher Anwalt mit der Regelung von Josies Nachlass beauftragt war, und erhielt die Zusicherung, dass das Buch, falls es gefunden würde, Daisy umgehend ausgehändigt würde.
    Da Joel arbeiten musste, konnte er sie nicht oft in Sussex besuchen, doch er rief täglich an. Und als sie wieder zu Hause war, schaute er fast jeden Tag bei ihr vorbei.
    Ende Juli, als ihre Schwester definitiv über den Berg war, brachen Tom und Lucy zu der geplanten Weltreise auf. Nachdem Daisy und ihr Vater sie zum Flughafen gebracht hatten, entschied Daisy, es war an der Zeit, die Weichen für die Zukunft zu stellen.
    Als Erstes musste sie Joel zurückgewinnen.
    Sie