Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
Krankenschwester und ein nettes Mädchen, wenn auch nicht sehr gebildet, erinnerte er sich. Großmutter war in sie vernarrt gewesen. Annamarie hatte sogar an ihrem Bett gesessen, als sie starb. Bei meiner Ankunft war Großmutter tot, und Annamarie weinte bitterlich. Wie viele Krankenschwestern würden sich den Tod einer Patientin so zu Herzen nehmen?
»Ich muß nachsehen, was sich in meiner Redaktion so tut«, sagte er. »Wir unterhalten uns später, Gus. Schön, Sie kennenzulernen, Fran.« Er winkte den beiden zu, verließ das Büro und ging den Flur entlang. Daß er seine Meinung über Gary Lasch geändert hatte, nachdem er von seiner Affäre mit Annamarie Scalli erfuhr, hatte er Fran lieber verschwiegen.
Annamarie war damals fast noch ein Kind gewesen, überlegte er und wurde ärgerlich. Und wie Fran Simmons war sie von einem selbstsüchtigen Erwachsenen benutzt worden. Annamarie hatte ihre Stelle aufgeben und wegziehen müssen. Nach dem Mord interessierte sich die Öffentlichkeit für sie, und sie wurde eine Zeitlang durch sämtliche Klatschspalten gezerrt.
Er fragte sich, wo Annamarie Scalli jetzt steckte. Kurz befürchtete er, Fran Simmons Recherchen könnten vielleicht das neue Leben zerstören, das sie sich aufgebaut hatte.
15
R aschen Schritts ging Annamarie Scalli die Straße entlang zu dem bescheidenen Haus in Yonkers, das die erste Station auf ihrer täglichen Runde war. Seit fünf Jahren arbeitete sie als Altenpflegerin bei einem ambulanten Pflegedienst und vermißte das Krankenhaus inzwischen nur noch selten. Auch die Photos ihres Kindes sah sie sich nicht mehr jeden Tag an. Nach fünf Jahren war man übereingekommen, daß die Adoptiveltern ihr nicht mehr jährlich eine Aufnahme zu schicken brauchten. Es war schon viele Monate her, daß sie das letzte Photo von dem kleinen Jungen erhalten hatte, der das Ebenbild seines Vaters war.
Mittlerweile hatte sie den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen und nannte sich nun Sangelo. Wie ihre Mutter und ihre Schwester war sie molliger geworden. Sie trug jetzt Größe vierundvierzig. Ihr früher schulterlanges, dunkles Haar hatte sie sich abschneiden lassen, so daß es sich um ihr herzförmiges Gesicht lockte. Inzwischen war sie neunundzwanzig und wirkte tüchtig, zupackend und freundlich – ein Eindruck, der auch der Wirklichkeit entsprach. Niemand hätte in ihr mehr die geheimnisvolle Geliebte im Mordfall Dr. Gary Lasch erkannt.
Vorgestern hatte Annamarie in den Abendnachrichten Molly Laschs Ansprache vor dem Gefängnistor gesehen. Der Anblick des Niantic-Gefängnisses im Hintergrund hatte ihr fast körperliche Übelkeit verursacht. Nun verfolgte sie die Erinnerung an den Tag vor drei Jahren, als sie in ihrer Verzweiflung im Auto an der Haftanstalt vorbeigefahren war und sich ein Leben hinter Gittern ausgemalt hatte.
Denn ich gehöre ins Gefängnis, flüsterte sie, während sie die rissigen Betonstufen von Mr. Olsens Haus hinaufstieg.
Doch nach der Fahrt an jenem Tag hatte sie der Mut verlassen. Sie war wieder in ihre kleine Wohnung in Yonkers zurückgekehrt. Nur dieses eine Mal war sie versucht gewesen, den väterlichen Anwalt anzurufen, der in der Lasch-Klinik ihr Patient gewesen war. Sie hatte ihn bitten wollen, ihr beizustehen, wenn sie sich dem Staatsanwalt stellte.
Sie läutete bei Mr. Olsen, sperrte mit ihrem eigenen Schlüssel auf und begrüßte den alten Mann mit einem fröhlichen »guten Morgen«. Aber sie hatte das unangenehme Gefühl, daß das neu erwachte Interesse am Mordfall Lasch wieder auf ihre Spur führen würde. Man durfte sie unter keinen Umständen finden.
Davor hatte Annamarie die größte Angst.
16
O hne auf Dr. Blacks Sekretärin zu achten, marschierte Calvin Whitehall an ihrem Schreibtisch vorbei und riß die Tür zu Peters elegant möbliertem Büro auf.
Black blickte von den Berichten auf, die er gerade studierte. »Du bist zu früh dran.«
»Nein, bin ich nicht«, zischte Whitehall. »Jenna hat sich gestern abend mit Molly getroffen.«
»Molly hatte tatsächlich den Nerv, mich anzurufen und mich zu warnen: Ich müßte unbedingt mit Fran Simmons, der Reporterin von NAF zusammenarbeiten. Hat Jenna dir von der Wahre-Verbrechen -Reportage erzählt, die diese Simmons über Gary drehen will?«
Calvin Whitehall nickte. Die beiden Männer starrten einander über den Schreibtisch hinweg an. »Und es kommt noch schlimmer«, knurrte Whitehall. »Offenbar ist Molly fest entschlossen, Annamarie Scalli aufzustöbern.«
Black
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