Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
Ermordung eine Auseinandersetzung mit Gary gehabt hatte. Sie war gerade auf dem Weg in Garys Büro gewesen, war aber im Vorzimmer stehengeblieben, als sie von drinnen zornige Stimmen hörten. »Dr. Morrow ist bei Dr. Lasch«, flüsterte die Sekretärin. »Er ist sehr aufgebracht. Ich habe nicht verstanden, worum es geht, aber wahrscheinlich um das übliche – die Behandlung eines seiner Patienten ist nicht genehmigt worden.«
Damals hatte ich schreckliche Angst, sie könnten sich meinetwegen streiten, dachte Annamarie. Und da ich nicht mit Jack darüber sprechen wollte, habe ich die Flucht ergriffen. Ich war sicher, daß Jack dahintergekommen war.
Doch als sie Jack später auf dem Flur traf, schien er nicht böse auf sie zu sein. Statt dessen fragte er sie, ob sie bald ihre Mutter besuchen würde. Annamarie antwortete, sie wolle am übernächsten Wochenende hinfahren. Daraufhin sagte er, er werde eine sehr wichtige Akte kopieren, und bat sie, diese auf dem Dachboden ihrer Mutter aufzubewahren. Er werde sie später dort abholen.
Ich war so erleichtert, weil er nichts von mir und Gary ahnte, und so beunruhigt wegen der Vorgänge in der Klinik, daß ich ihn nicht einmal fragte, was das für Unterlagen waren, erinnerte sich Annamarie. Er meinte, er werde
mir die Akte bald geben, und nahm mir das Versprechen ab, Stillschweigen zu bewahren. Doch ich bekam die Papiere nie, und eine Woche später war er tot.
»Annamarie?«
Erschrocken blickte Annamarie auf. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, daß sie Molly Lasch nicht bemerkt hatte. Nach einem Blick auf die Frau fühlte sie sich dick und häßlich. Auch die große Sonnenbrille konnte Mollys ebenmäßiges Gesicht nicht verbergen. Die Hände, mit denen sie den Gürtel ihres Mantels öffnete, waren lang und schmal. Und als sie den Schal vom Kopf nahm, war ihr Haar zwar dunkler, als Annamarie es im Gedächtnis hatte, aber dennoch weich und seidig.
Während Molly Platz nahm, musterte sie Annamarie. Sie hat sich sehr verändert, dachte sie. Molly war Annamarie ein paarmal in der Klinik begegnet. Damals war die Krankenschwester eine Schönheit gewesen, mit einer kurvenreichen Figur und langem, dunklem Haar.
Die schlicht gekleidete Frau, die ihr nun gegenübersaß, hatte nichts Aufreizendes an sich. Sie trug ihr Haar nun kurzgeschnitten. Ihr Gesicht war zwar noch hübsch, aber ein wenig aufgeschwemmt. Außerdem hatte sie zugenommen. Doch ihre dunkelbraunen Augen mit den langen Wimpern waren wunderschön. Allerdings merkte Molly auch, wie unglücklich und verängstigt Annamarie war.
Sie fürchtet sich vor mir, ging es Molly durch den Kopf, und sie war erstaunt, daß sie diese Wirkung auf einen anderen Menschen haben konnte.
Als die Kellnerin an den Tisch kam, war sie um einiges freundlicher als zuvor. Offenbar war sie von Molly beeindruckt.
»Tee mit Zitrone bitte«, sagte Molly.
»Und noch einen Kaffee für mich, wenn es nicht zuviel Umstände macht«, fügte Annamarie hinzu, als die Kellnerin sich schon abwenden wollte.
Als sie wieder allein waren, meinte Molly: »Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mit diesem Treffen einverstanden gewesen sind. Ich weiß, daß es Ihnen sicher ebenso unangenehm ist wie mir, und ich verspreche, Sie nicht zu lange aufzuhalten. Aber wenn Sie offen mit mir reden, könnten Sie mir sehr helfen.«
Annamarie nickte.
»Wann fing Ihr Verhältnis mit Gary an?«
»Ein Jahr vor seinem Tod. Eines Tages ist mein Auto nicht angesprungen, und er hat mich nach Hause gefahren. Er ist auf einen Kaffee mit hereingekommen.« Annamarie sah Molly direkt in die Augen. »Ich wußte, daß er mehr von mir wollte. Eine Frau ahnt so etwas.« Sie hielt inne und betrachtete ihre Hände. »Um ehrlich zu sein, habe ich ihn angehimmelt. Ich habe es ihm ziemlich leicht gemacht.«
Er wollte mehr von ihr? überlegte Molly. War sie die erste? Wahrscheinlich nicht. Die zehnte vielleicht? Das würde sie nun nie erfahren. »Hatte er auch Affären mit anderen Schwestern?«
»Nicht, soweit ich weiß, aber ich arbeitete damals erst ein paar Monate in der Klinik. Er betonte, daß ich absolut diskret sein müsse, was mir sehr gut paßte. Ich komme aus einer italienischen, streng katholischen Familie, und es hätte meiner Mutter das Herz gebrochen, wenn sie gehört hätte, daß ich etwas mit einem verheirateten Mann habe. Mrs. Lasch, ich möchte Ihnen noch sagen …« Annamarie verstummte, denn die Kellnerin brachte den Tee und den Kaffee. Annamarie fiel auf, daß sie
Weitere Kostenlose Bücher