Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
fühlte sich unbeschreiblich frei, als sie nun den Zündschlüssel in der Hand hielt.
Zum letztenmal hatte sie bei ihrer Rückkehr aus Cape Cod am Steuer gesessen. Molly legte die Hände aufs Lenkrad
und erinnerte sich an diese Fahrt. Damals habe ich das Steuer so fest umklammert, daß mir die Hände weh taten, dachte sie, als sie zurücksetzte und dann das Garagentor mit der Fernbedienung hinter sich schloß. Langsam rollte sie die lange Auffahrt entlang bis zur Straße. Normalerweise habe ich den Wagen immer in die Garage gestellt, doch an jenem Abend parkte ich einfach vor dem Haus und ließ ihn dort stehen. Warum habe ich das getan? fragte sie sich. Lag es daran, daß ich mein Gepäck nicht so weit tragen wollte?
Nein, ich brannte darauf, Gary endlich zur Rede zu stellen. Ich hatte dieselben Fragen an ihn wie heute an Annamarie Scalli. Ich wollte wissen, was er für mich empfand, warum er so oft nicht zu Hause war und warum er sich in unserer Ehe unglücklich fühlte. Aus welchem Grund war er nicht ehrlich zu mir und sah seelenruhig zu, wie ich mich abmühte, ihm eine gute Frau zu sein?
Molly preßte die Lippen zusammen und spürte, wie wieder Wut und Haß in ihr aufstiegen. Schluß damit! schalt sie sich. Wenn du nicht sofort aufhörst, kannst du gleich umkehren und nach Hause fahren.
Um zwanzig nach sieben traf Annamarie Scalli im Sea Lamp Diner ein. Sie wußte, daß sie viel zu früh dran war, doch sie hatte unbedingt vor Molly Lasch ankommen wollen. Erst nachdem sie sich mit dem Treffen einverstanden erklärt hatte, war ihr bewußt geworden, daß sie tatsächlich mit Molly sprach und daß diese sie aufgespürt hatte.
Ihre Schwester Lucy hatte alles getan, um sie zu überreden, zu Hause zu bleiben. »Annamarie, diese Frau hat sich so über dich geärgert, daß sie ihren Mann erschlagen hat. Vielleicht wird sie dich angreifen. Wenn es stimmt, was sie behauptet, nämlich daß sie sich nicht daran erinnern kann, ihn ermordet zu haben, ist sie sicher geisteskrank. Außerdem
lebst du seit Jahren in Angst, weil du zuviel über das weißt, was im Krankenhaus vor sich gegangen ist. Fahr nicht hin!«
Die beiden Schwestern hatten sich den ganzen Abend lang gestritten, aber Annamarie war fest entschlossen, Molly zu treffen. Sie wandte ein, daß es besser sein würde, die Sache hinter sich zu bringen und sich mit ihr in einem Restaurant zu unterhalten. Schließlich hatte Molly sie ausfindig gemacht, und es war durchaus möglich, daß sie plötzlich vor ihrer Tür in Yonkers stand oder ihr nachging, wenn sie ihre Patienten besuchte.
Annamarie suchte sich einen Platz in der hintersten Ecke des langen, schmalen Raums. Am Tresen saßen ein paar mürrische Gäste. Auch die Kellnerin war übellaunig und schien verärgert, als Annamarie den angebotenen Tisch vorne im Lokal ablehnte.
Die düstere Stimmung im Restaurant trug nur zu der bösen Vorahnung bei, die Annamarie auf der langen Fahrt von Buffalo überkommen hatte. Sie fühlte sich völlig erschöpft. Wahrscheinlich bin ich deshalb so deprimiert und niedergeschlagen, versuchte sie sich einzureden. Sie trank den lauwarmen Kaffee, den die Kellnerin vor ihr auf den Tisch knallte.
Annamarie wußte, daß sie einen Teil ihrer Mißstimmung dem Streit mit ihrer Schwester verdankte. Obwohl Lucy sie sehr liebte, hatte sie keine Hemmungen, immer in dieselbe Kerbe zu hauen, und ihre ständige Kritik hatte Annamarie schließlich zermürbt.
»Annamarie, warum hast du nicht Jack Morrow geheiratet? Wie unsere Mutter immer sagte, war er der netteste Mann, unter der Sonne. Außerdem war er verrückt nach dir. Und er war Arzt und noch dazu ein guter. Weißt du noch, wie Mrs. Monahan zu Besuch kam, als du ihn übers Wochenende mitgebracht hattest? Er meinte, ihre Gesichtsfarbe gefiele ihm gar nicht. Wenn er sie nicht überredet hätte, sich untersuchen zu lassen, hätte man
den Tumor nie entdeckt, und sie wäre heute nicht mehr am Leben.«
Annamarie hatte dasselbe geantwortet wie in den vergangenen sechs Jahren. »Laß es gut sein, Lucy. Jack wußte, daß ich ihn nicht liebte. Vielleicht hätte ich mich unter anderen Umständen in ihn verlieben können. Vielleicht hätte es geklappt, wenn alles anders gewesen wäre. Doch es sollte eben nicht sein. Ich war erst Anfang Zwanzig und hatte meine erste Stelle. Mein Leben fing gerade richtig an. Ich war noch nicht bereit für eine Ehe, und Jack hatte Verständnis dafür.«
Annamarie erinnerte sich, daß Jack in der Woche vor seiner
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