Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
ließ den Gefangenen aufhorchen. Er richtete sich auf, schwang die Beine von der Pritsche und stand auf, um dem Sheriff entgegenzutreten. Er scheint niemals zu schlafen, dachte Chris, als er den Schlüssel herumdrehte und die Zellentür öffnete. Mason wich zurück. Chris musterte ihn von Kopf bis Fuß, und nicht zum ersten Mal fielen ihm die schweren Arbeitsstiefel auf. Irgendetwas an diesem Mann stimmte nicht.
»Heute Morgen kam ein Telegramm.« Er deutete mit dem Kopf auf die Stelle, wo der Steckbrief gehangen hatte. »Der Kerl wurde vor einer Woche in Tucson erschossen.«
»Warum haben Sie mir nicht einfach gesagt, dass Sie mich deshalb hier festgehalten haben?«
»Warum sollte ich?«
»Weil ich das Recht habe, es zu erfahren.« Oder galten die Bürgerrechte hier nicht? Nicht in dieser Zeit?
»Nicht in meiner Stadt, nicht, solange ich es nicht will.«
»Entweder haben Sie mächtig Ärger, Marshal , oder jemand schmiert Ihre Taschen.«
Chris' Blick verdüsterte sich.
»Offensichtlich nicht genug«, provozierte sie ihn. Ihr gefiel die Art nicht, wie er das Gesetz in seine Hand nahm. Er hielt es ein bisschen zu fest. »Meine Messer, bitte!«
Chris ging zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und holte die Waffen heraus. Er hatte sie sich in der vergangenen Nacht ein wenig genauer angeschaut, die Nummern auf dem Griff und die feine Arbeit registriert. Noble, der weit und breit die besten Messer herstellte, hätte es nicht besser machen können, und das hatte er auch selbst zugegeben, nachdem er sie gesehen hatte.
Er reichte sie Mason, der sie sofort in die Scheiden schob. »Passen Sie auf, dass Sie keinen Bürger meiner Stadt damit ritzen!«, warnte er, und Mason b li eb in der Tür noch einmal stehen.
Victoria drehte sich zu ihm um. »Solange mich keiner mit seinem verdammten Arsch anpackt, brauche ich auch niemanden zur Hölle schicken.« Er zuckte mit keiner Wimper bei ihrer groben Ausdrucksweise. Und selbst wenn, wäre es ihr egal gewesen. Sie hatte sich als Mann verkleidet, und wenn sie als solcher durchgehen wollte, dann musste sie sich auch wie ein Mann benehmen und so reden. Schade, dass du mich niemals als Bettlerin erlebt hast, dachte sie, dann ging sie endgültig. Sie war froh, dass die Stadt noch nicht erwacht war, so konnte sie in aller Ruhe alles betrachten - die Pferdetränken, die Postkutschenstation, ein paar Betrunkene, die im Rinnstein schliefen. Es war wirklich und wahrhaftig alles real.
Als sie am Telegrafenamt vorbeikam, lief ihr erneut ein Schauder über den Rücken. Ob sie es einfach versuchen und ein Telegramm schicken sollte? Aber erstens hatte sie kein Geld - jedenfalls nicht das 1872 gebräuchliche. Und zweitens kannte sie niemanden, der hier lebte. Und alle, die sie geliebt hatte, waren tot.
Kelly Galloway war tot. Als man sie das letzte Mal lebend gesehen hatte, war sie mit einem schlanken Mann mit einem schmalen Bärtchen zusammen gewesen. Wegen dieser Beschreibung und des Steckbriefs hatte Chris diesen Mason so lange festgehalten. Nun gut, offensichtlich war der Fremde kein Viehdieb, und auch sonst konnte man ihm nichts nachweisen, also hatte der Marshal ihn schließlich laufen lassen müssen. Und dennoch wurde Chris das Gefühl nicht los, dass er Mason schon einmal begegnet war. Er hat es ziemlich eilig, dachte er, als er auf der Veranda stand und Mason nachschaute, mit der Schulter an den Pfosten gelehnt. Dann stieß er sich plötzlich ab. Jetzt wusste er, was ihn die ganze Zeit irritiert hatte. Masons Füße passten nicht zu seiner restlichen Figur, sie waren viel zu klein. Er hatte schon ein paar Schritte hinter ihm her gemacht, als ihn jemand rief und er stehen bleiben musste. Es war einige seiner Deputys. Chris blickte noch einmal in Masons Richtung, aber die Straße war leer und ruhig. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass er Mason nicht hätte gehen lassen sollen. Schließlich wandte er sich wieder den Männern zu. Er würde ihre Berichte entgegennehmen und sich dann selbst um den Fremden kümmern.
Solange sie im Gefängnis gesessen hatte, hatte sie ihre Empfindungen unter strikter Kontrolle gehalten - um nicht verrückt zu werden, um einfach zu überleben. Doch nun brach diese Kontrolle zusammen, ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen, während sie so schnell den Berg hinauf rannte, wie sie es mit einem dreißig Pfund schweren Rucksack auf dem Rücken konnte. Dreck von der Stelle, wo sie ihn vergraben hatte, krümelte von ihrem
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