Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
irgendeine, egal, ob es Ärger oder Belustigung wäre. Doch er wirkte einfach nur müde.
Chris fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Werden Sie mir jemals eine vernünftige Antwort geben?«
»Und Sie mir?«
Er verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. »Ich sitze schließlich nicht hinter Gittern.«
»Sie wissen ganz genau, dass Sie mich zu Unrecht eingesperrt haben!«, fuhr sie auf. »Erinnern Sie mich daran, dass ich diese einladende Stadt in Zukunft aus meinen Reiseplänen streiche.« Sie drehte sich abrupt um und ließ sich wieder auf die Pritsche sinken, streckte sich aus und zog den Hut über ihre Augen.
Nach außen hin wirkte sie ganz wie ein fauler Gefangener, doch in ihrem Kopf jagten sich die Gedanken. Beruhige dich, ermahnte sie sich immer wieder. Das kann einfach nicht wahr sein! Es muss eine logische Erklärung für all das geben.
Oder?
Hewlett-Packard
4
Doch es gab keine. Keine vernünftige jedenfalls. Auch wenn sie sich am liebsten noch immer weigern würde, es zu glauben: Sie befand sich in einer anderen Welt, einem anderen Jahrhundert. Und sie war durch den Wasserfall dorthin gelangt. Auf der Jagd nach einem Killer, der sie durch einen Riss im Zeitgefüge mitgenommen hatte, einen Tunnel in die Vergangenheit - der wahrscheinlich verschlossen gewesen war, bis Ivy League ihn entdeckt hatte. Dieser verdammte Hurensohn!
Heiliger Himmel!
Eine Zeitreise.
Doch nachdem sie sich ein wenig an diese Vorstellung gewöhnt hatte, passte auf einmal alles perfekt zusammen, ließ sich ganz leicht erklären. Victoria lachte auf. Einfach, ja? Wie sollte sie diesen Verbrecher schnappen und die Belohnung kassieren, wenn sie keine Verbindung zu ihrem eigenen Jahrhundert hatte? Es störte sie nicht, dass sie hier ganz auf sich selbst gestellt war, denn sie hatte schon oft allein gearbeitet. Aber sie musste unbedingt und so schnell wie möglich zum Wasserfall zurückkehren, um ihre Theorie zu überprüfen, damit sie sicher sein konnte, dass sie Ivy League in seiner und ihrer Zeit abliefern konnte, sobald sie ihn erwischt hatte, damit er seiner gerechten Strafe zugeführt wurde. Er sollte für seine Verbrechen bezahlen, allein darauf kam es an.
Eine merkwürdige Ruhe überkam sie. Ich kann es schaffen. Ganz sicher.
Dass sie sich in einer anderen Zeit befand, bedeutete erst einmal nur eines: Ivy League konnte sich hier frei bewegen.
Keine Polizisten waren ihm mehr auf den Fersen, keine Hubschrauber waren auf der Suche nach ihm. Niemand hier wusste, wer er war - außer ihr. Er konnte unbehelligt ganz von vorn anfangen. Da mochte dieser Marshal noch so gut aussehen - Victoria bezweifelte, dass er einem Psychopathen aus dem 20. Jahrhundert gewachsen war.
Ivy League war immer noch eine Gefahr. Jetzt erst recht, weil er davon ausging, dass ihm niemand gefolgt war. Keine Bedrohung mehr. Keine Panik. Er konnte sich sein nächstes Opfer in aller Ruhe aussuchen. Aber vielleicht lief er ihr auch auf der Straße geradewegs in die Arme. Ganz bestimmt, dachte sie. Vor allem, solange ich hier im Gefängnis sitze.
Der Klebstoff, der die Maske fixierte, juckte wie die Hölle, doch sie wagte es nicht, sich zu kratzen. Das gäbe ein Schauspiel, wenn die Maske sich zu lösen begänne! Sie spielte mit dem Gedanken, die Maske einfach abzureißen und sich dem Marshal anzuvertrauen, doch schnell verwarf sie diese Idee wieder.
Dass sie sich in einer anderen Zeit befand, mochte den Lauf der Geschichte verändern. Ob und wie, das würde sie allerdings erst herausfinden, wenn sie in ihre Zeit zurückgekehrt war - falls ihr dies je gelang. Eine nicht sehr angenehme Vorstellung...
Victoria verbannte die Angst, vielleicht für immer hier im 19. Jahrhundert gefangen zu sein, in den hintersten Winkel ihres Verstandes, und machte sich daran, logisch und systematisch nachzudenken. Sie überlegte, welchen Schritt sie als nächsten unternehmen könnte. Wie würde Ivy League sich verhalten? Er würde sich hier in dieser Stadt ein neues Leben schaffen, so gründlich und geschickt und unauffällig wie schon elf Mal zuvor. Und dann würde er sich auf die Suche nach seinem nächsten Opfer begeben. Er würde nicht in seine eigene Zeit zurückkehren, nicht, solange er befürchten musste, dass man in drei Staaten Jagd auf ihn machte. Sie musste ihn finden. Sie war die Einzige, die das konnte, und sie musste Erfolg haben. Denn sie hatte nicht vor, den Rest ihres Lebens im 19. Jahrhundert zu verbringen.
Das Klirren von Metall auf Metall
Weitere Kostenlose Bücher