Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
nicht auf falsche Ideen!«
»Aber Junge, wie kommst du denn darauf?«, fragte sie zuckersüß, während er die restlichen Stufen bewältigte. Doch Chris kannte diesen Ton nur zu gut. Er wusste, dass sie bereits Pläne machte - oder in dem Augenblick damit beginnen würde, wenn sie erfuhr, um welche Frau es sich handelte. Er seufzte, öffnete die Tür zu seinem Schlafzimmer und trat ein. Zumindest würde sie Victoria niemals erkennen, wenn sie sie sah.
Chris fürchtete, dass Abigale ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie ihn in seiner Beziehung zu Camille ermuntert hatte. Er seufzte. Camille McCracken. Sie hatte behauptet, ihn zu li eben, hatte zugestimmt, ihn zu heiraten. Doch als er ihr anvertraute - eigentlich nur, um seine letzten Zweifel auszuräumen dass er ein Halbblut war, hatte sie auf der Stelle die Verlobung gelöst.
»Nur weil ich keine Vorurteile gegen Indianer habe«, hatte sie in herablassendem Tonfall erklärt, »heißt das noch lange nicht, dass ich gleich einen heiraten muss!«
Mit ihren gedankenlosen Worten hatte sie ihn tief getroffen, seinen Glauben an Frauen wie sie zerstört - vornehme Ladys, wohlerzogen und gebildet, deren Mitleid und Verständnis nur vorgetäuscht waren. Er hätte sie früher durchschauen müssen, aber er hatte ihr Bild verklärt - schließlich gehörten zu ihrer Familie auch Sioux, verdammt noch mal! Er schmiss seine nassen Sachen über einen Stuhl. Die Erinnerung an Camille hatte sein Verlangen nach Victoria gedämpft - vorübergehend. Denn die Gedanken an sie wollten ihn nicht loslassen. Er meinte ihren Duft zu riechen, ihren Geschmack zu spüren, ihre Erregung zu fühlen. Chris merkte, wie sein Atem und sein Herzschlag sich wieder beschleunigten.
Er wollte diese Frau haben. Und nicht nur in seinem Bett.
Sie war einzigartig, sie faszinierte ihn, war ganz anders als Camille. Victoria Mason war intelligent, voller Herausforderungen und Leidenschaft, in der Liebe so ungezähmt und wild wie bei ihrem Job. Dass sie ihr Verlangen so beherrschen konnte, ließ sie ihm umso verführerischer erscheinen, denn die Leidenschaft, die er an diesem Abend erlebt hatte, war nur ein Bruchteil dessen, was ihr kühles Benehmen verbarg.
Er konnte es kaum noch erwarten, sie wieder in den Armen zu halten, denn ganz sicher war mit dieser Episode ihre Beziehung nicht beendet! Im Gegenteil.
Doch als er sich in sein weiches, aber leeres Bett zurücksinken ließ und wünschte, Victoria wäre bei ihm, da wusste er, dass er würde bezahlen müssen. Dafür, dass sie sich ihrer Leidenschaft bewusst geworden war. Für das, was sie ihm bedeutete. Denn Victoria würde nicht bleiben, das hatte er in ihren Augen gelesen. Und er war verdammt, wenn er wusste, wie es ihm gelingen sollte, ihre Meinung zu ändern.
Juni 1872
Manchmal versteckt es sich ganz tief in mir, scheint zu schlafen, und ich kann vergessen, dass es existiert. Doch wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann spüre ich, wie es mich überwältigt, mich ertränkt. Es ist wie Hunger oder wie plötzlicher, unerträglicher Durst, und es tut weh. Es ist ein grässlicher Schmerz tief in mir, der mich auffrisst, an meinem Verstand nagt wie Würmer an einem Leichnam, um sich zu ernähren. Ich glaube nicht, dass ich jemals frei davon sein werde. Nicht in diesem Leben - aber vielleicht in dieser neuen Zeit.
Ich bin frei. Niemand kommt an mich heran. Niemandem ist dies je gelungen. Nicht einmal ihr.
Ich weiß, was ich bin, der Albtraum einer Mutter.
Und ich genieße diesen neuen Anfang.
Chris klopfte an die Tür. Als niemand antwortete, drückte er die Klinke herunter. Unvermittelt packte ihn Furcht, als die Tür aufschwang. Der Raum war leer. Er brauchte gar nicht erst einzutreten, um zu wissen, dass sie fort war.
Etwas in ihm schien zu zerbrechen, sein Magen krampfte sich zusammen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, und er wusste auch nicht, wo er nach ihr suchen sollte. Sie konnte jede beliebige Gestalt angenommen haben. Abrupt dreht er sich um und ging zum Empfang. Der Angestellte blickte auf, straffte die Schultern und trat an die Theke.
»Wo ist Clara Murphy?«
»Miss Fotheringham hat sie heute Morgen entlassen.«
»Warum?«
Der Mann zuckte mit den Achseln und wandte den Blick ab. Chris lehnte sich über die Theke. »Warum?«, fragte er mit tödlicher Ruhe.
»Die Missus sagte, sie hätte gehört...« Er räusperte sich und senkte dann die Stimme. »Sie hätte Geräusche und die Stimme eines Mannes in ihrem Zimmer
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