Wenn Zaertlichkeit dein Herz beruehrt
dann glitt ihr Blick hinauf zum ersten Stock zu dem Geländer, an dem normalerweise ihre Mädchen standen und die Männer nach oben lockten. Velvet bemerkte eine Gestalt, die den Flur entlanghuschte und sich im Schatten hielt. Sie schaute genauer hin. Clara. Das Mädchen bewegte sich mit verräterischer Eile. Vels Blick flog zu Becket, und ihr Herz schlug plötzlich schneller. S ie wusste nicht, was Clara plante, aber sie hatte einen Verdacht - und Becket würde die Dienstmagd umbringen, wenn er sie in der Nähe seines Büros erwischte. Niemand durfte seine Räume ohne seine ausdrückliche Erlaubnis betreten. Sie beobachtete ihn, wie er die Schürfer und Cowboys anlächelte, dort einem Mann auf die Schulter klopfte, mit einem anderen einen Scherz machte. Sie folgte ihm unauffällig, blieb jedoch immer ein Stück hinter ihm. Sie schaute zu der Tür, die in seine Privaträume führte, und überlegte, ob Clara wohl schon dort drin war. Clara, die sie gewarnt hatte, sich nicht einzumischen, nichts zu unternehmen, egal, was sie, Velvet, auch sehen mochte. Sei vorsichtig, Mädchen, dachte sie, sei ganz besonders vorsichtig!
Es war nicht besonders schwierig, das Schreibtischschloss zu öffnen. Victoria zog die Schublade auf. Behutsam nahm sie das Tagebuch heraus und legte es auf den Tisch, sorgsam darauf bedacht, nichts in Unordnung zu bringen. Sie schlug das Buch auf, schob es in den Lichtkreis einer kleinen Lampe und blätterte es durch.
Herr im Himmel!
Das Leben schien aus ihrem Körper zu entschwinden wie die Liehe, die mir verweigert wurde. Meine Liehe, die missachtet und als nicht wertvoll genug betrachtet wurde. Ein wunderschöner Schauder lief über ihren Körper, ihr letzter Atemzug streichelte meinen Mund. Ich trank ihn in mich hinein wie einen schweren, dunklen Bordeaux.
Schockiert betrachtete Victoria diese Zeilen, las dann eine andere Passage und noch eine. Der Mord in Wichita. Der Mord von Bloomington. Er war so selbstgerecht in seinen Überlegungen, seiner Logik; die Details waren unfassbar. Victoria verschwendete keine Zeit, zog die Mikrokamera aus ihrer Schürzentasche und machte Aufnahmen. Das einzige Geräusch im Raum war das leise Sirren, wenn der Film weiterspulte. Eine Brise kam durch das offene Fenster und raschelte in den Vorhängen. Victoria hielt inne, warf einen Blick über ihre Schulter, versuchte zu erkennen, ob jemand sie draußen auf der Straße beobachtete.
Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Tagebuch zu und las erneut ein paar Zeilen. Sie wünschte, sie hätte mehr Zeit, ein fotografisches Gedächtnis.
Wir wollten ihre Berührung, ihre Gefühle, wollten uns die mütterliche Beachtung verdienen. Ohne diese waren wir ruhelos.
Wir?, dachte sie, als sie die Kamera wieder klicken ließ, nicht lauter als das Geräusch ihres Atems. Seite um Seite wurde auf Film gebannt. Victoria las nicht weiter, was dort in seiner gestochen schönen Schrift stand.
Dann hörte sie plötzlich Stimmen und erstarrte. Unter der Tür konnte sie einen Lichtschein erkennen. Schatten bewegten sich. Das Herz schlug ihr bis in den Hals.
Dort draußen stand Ivy League.
Vel unterhielt sich gerade mit einem Cowboy und sagte ihm, dass sie ihm etwas Aufregenderes bieten könnte als dieses Kartenspiel, als sie aus den Augenwinkeln bemerkte, dass Becket Anstalten machte, in sein Büro zurückzukehren. Er verabschiedete sich von seinen Gästen wie ein König von seinen Untertanen. Sie hauchte dem Cowboy einen Kuss auf die Stirn und folgte Becket, um ihn aufzuhalten.
»Algenon«, sagte sie mit sanfter Stimme, und er blieb stehen, die Hand auf dem Türknauf, und drehte sich um.
» Velvet .« Als er nickte, fielen ihm die Haare in die Stirn.
Warum muss er nur so verdammt gut aussehen, dachte sie. Laut aber sagte sie: »Ich wollte noch einmal mit Ihnen über Ihr Angebot bezüglich des Saloons reden.«
Er sah sie wartend an, ließ nicht erkennen, was er dachte.
»Nun, ich kann das Geld nur dann aufbringen, wenn ich einen größeren Anteil von meinen Einnahmen bekomme.«
Er zog spöttisch eine Augenbraue hoch, und sah sie auf eine Weise an, dass Velvet sich ganz klein vorkam. »Du willst, dass ich dich dafür bezahle, dass du meinen Saloon kaufen kannst?«
»Wie soll ich es denn sonst schaffen? Sie haben hier alles unter Kontrolle. Und den größten Teil unseres Verdienstes.«
»Dann arbeitet mehr!«
Sie bemühte sich, nicht zur Tür hinzuschauen. »Dann dürfen Sie uns nicht mehr so viele
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