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Wer aaahh sagt...

Wer aaahh sagt...

Titel: Wer aaahh sagt... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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du am nächsten Morgen reagiert, als du all die Schlagzeilen sahst?«
    Sie zuckte die Achseln. »Komisch, aber es schien nichts mit mir zu tun zu haben. Ich war vielleicht ein bißchen schockiert. Daddy dachte, ich sei krank oder so.«
    Wir starrten einander an. Ich fühlte mich auf erschreckende Weise, wenn auch völlig unbegründet, für die Katastrophe mitverantwortlich. Bellocs Tante, die von dem interessanten Theaterstück Die zweite Mrs. Tanqueray zurückkommt und sieht, daß das Haus samt der verlogenen Mathilda abgebrannt ist, muß sich ganz genauso gefühlt haben.
    »Ich bin der einzige Mensch auf der Welt, mit dem du darüber sprechen kannst?«
    Sie nickte.
    Ich entschied: »Was passiert ist, kann nicht rückgängig gemacht werden. Das ist die tröstlichste Art, Fehler zu betrachten. Ich rate dir, niemandem etwas davon zu erzählen.«
    Sie fragte mit kindlicher Unsicherheit: »Aber ich habe doch nichts falsch gemacht, oder?«
    »Das weiß ich nicht. Ich bin Arzt, kein Priester.«
    Sie erschreckte mich mit ihrem Kichern. »Es ist alles so aufregend, was? Ich meine, ich hab der Regierung einen ganz schönen Schlag versetzt. Kaum ein anderer hätte das gekonnt. Egal, sie verdienen es auch nicht anders, wenn man zum Beispiel die Brutalität der Polizeigewalt gegenüber Streikenden betrachtet.« Sie ging hinaus.
    Ich stöhnte.
    Ich rief Walter Elmsworthy an. Seine neue Sekretärin sagte mir, daß er seine Sprechstunden abgesagt habe und für ein paar Tage weggefahren sei. Unbekannten Aufenthalts. Er brauche Ruhe. Ich war erleichtert. Ein Mann, der Höllenqualen leidet, braucht nicht auch noch Vorwürfe.
    Der hippokratische Eid besagt schlicht: Alles, was der Arzt beruflich oder privat sieht oder hört und was nicht verbreitet werden soll, wird er für sich behalten und niemandem weitererzählen. Das soll den Arzt nicht zu einem Heiligen machen, sondern dem Patienten die Möglichkeit geben, sich frei auszusprechen. Die Wahrheit kann schmerzlicher sein als die Krankheit, aber der Arzt muß sie vielleicht kennen, um den Patienten heilen zu können. Wer eine Schußwunde hat, geschmuggelte Diamanten verschluckt oder Drogen nimmt, muß einen Arzt aufsuchen können, ohne gleich aus dem Sprechzimmer ins Gefängnis zu wandern. Die ärztliche Ethik ist auf die Praxis ausgerichtet wie die übrige Medizin.
    Annabel war ein dickköpfiges junges Ding, das ausgenützt worden war. Ich konnte wohl mit Walter oder einem anderen Arzt über sie sprechen. Wenn ich aber Jim, ihrem Vater oder der Polizei oder jemand anderem ihr Geheimnis verriet, konnte Äskulap, der Gott der Heilkunst, zu Recht in meine Praxis stürmen und mich mit seinem Schlangenstab niederknüppeln.
    Ich kam zu spät zum Essen. Sandra sah mich besorgt an. Sie fragte: »Oh Gott, was ist denn jetzt wieder passiert?«
    Ich murmelte etwas von Migräne.
    Der Eid! Er beengte mich und scheuerte wie eine Zwangsjacke.
    Das Ehebett sollte nie mit Geheimnissen gepolstert sein - ausgenommen natürlich jene, durch die man sonst unsanft hinausgeworfen würde -, aber ich redete nicht gern über die heiklen Dinge meines Berufs. Irgendwie war ich ein Fleisch mit meinen Patienten ebenso wie mit meiner Frau.
    Sandra sagte: »Migräne? Du hast noch nie Migräne gehabt.«
    »Nun, dann habe ich sie eben jetzt.«
    »Du bist schon viel zu alt, um jetzt noch Migräne zu bekommen. Die kriegt man immer schon mit zwanzig.«
    Ich entgegnete: »Sag mal, wer ist hier der Arzt, hm?«
    Sie sagte: »Also wirklich! Wenn du unbedingt so überempfindlich und flegelhaft sein willst, kannst du gern allein essen.«
    Sie knallte die Küchentür zu. Ich fragte mich, ob Hippokrates wohl verheiratet war.
    Mittwoch. Es war deprimierend kalt geworden.
    Ich warf einen Blick in die Morgenzeitung, während ich Briefe über meine Patienten vom hiesigen St. Ethelnoth-Hospiz durchsah, einer der Endstationen des Lebens. Es waren stets so viele schlechte Nachrichten wie der Totenvogel Federn hat.
    Findige Reporter hatten die Prostituierte aufgestöbert. Mrs. Maureen Flynn, 25, hübsch, dunkelhaarig, saß in ihrem getupften Kleid neben dem Kamin und wirkte so bescheiden wie jede andere brave Hausfrau. Jim sei ein richtiger Gentleman gewesen. Bei zwei Kindern müsse man sehen, wie man zurechtkomme, seit Mr. Flynn eines Morgens zum Rennen gegangen war und sich nie wieder hatte blicken lassen.
    Die Presse machte auch Mr. Vella, den Besitzer des Clubs, ausfindig, der empört abstritt, auch nur das geringste von privaten

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