Wer aaahh sagt...
verschiedensten Arbeiten angehalten, aber er fand es erholsamer, arbeitslos zu sein. Er war ein zufriedener Faulpelz, ein beneidenswerter Mensch.
»Und unseren Kevin?« setzte sie hinzu.
Ich nickte wieder. Er war ein intelligenter, aufgeweckter vierzehnjähriger Junge.
Belindas Gesicht leuchtete auf. »Kevin macht sich sehr gut auf der Schule. Ich mußte beim Klassenlehrer vorsprechen. Sie möchten, daß er später studiert. Noch ein Bier?«
»Nein, danke, ich muß mich auf den Weg machen.«
»Aber fürs Studium braucht man Geld.«
»Er kann ein Stipendium bekommen«, machte ich sie aufmerksam.
»Das hat mir der Klassenlehrer auch gesagt. Aber das wird nicht reichen. Wenn man während der Ausbildung ständig knapp bei Kasse ist, dann ist das so, als würde es die ganzen Ferien regnen, finde ich jedenfalls. Und ich verdiene nicht gerade ein Vermögen damit, daß ich hier jeden Abend Bier zapfe. Das wissen Sie doch.«
Sie fegte meine zerknüllte Chipstüte von der Theke. »Ich hätte nichts dagegen, mich gegen Bezahlung als Leihmutter zur Verfügung zu stellen. Könnten Sie mir da nicht weiterhelfen, Doktor?«
Dieser interessante Vorschlag wurde durch die Ankunft mehrerer Stammgäste unterbrochen, die das Übliche bestellten.
»Du hast Hortense verpaßt«, sagte Sandra, als ich nach Hause kam.
»Wie schade!« bemerkte ich.
Ich setzte mich und trank in Ruhe einen Glenfiddich. Ich überlegte, wie angenehm doch das Leben im allgemeinen war, ohne die Gesellschaft von Miss Hortense Tankerton.
Träge griff ich nach Right Ho, Jeeves von P. G. Wodehouse und las die Stelle, wo der Abstinenzler nach ein paar Gläsern Orangensaft, die von Bertie Wooster absichtlich mit Gin versetzt worden waren, sternhagelvoll ins Gymnasium von Market Snodsbury kommt. Meine Gedanken wanderten von dem sonnigen Wodehouse zu Jeff Flintirons traurigem Dasein. Seit vierzig Jahren war er mein Patient. Er hatte keine Familie und anscheinend auch keine Freunde. Ich könnte meine Eigenschaft als netter Kerl wirklich unter Beweis stellen, dachte ich, wenn ich ihn jeden Tag besuchte, um ihn aufzumuntern. Ich hätte das gleiche getan, wäre Prometheus mein Patient gewesen.
»Und wie fühlen Sie sich heute?« fragte ich fröhlich, als ich am nächsten Tag auf dem Weg von der Praxis nach Hause bei ihm vorbeischaute.
»Wie ein ausgestopfter Dingo, der von den Motten zerfressen wird«, antwortete er verdrießlich.
Während ich ihn bedauerte, führ er fort: »Nicht, daß ich Schmerzen hätte. Wenn ich so nachdenke, fühle ich mich eigentlich ganz munter, seit ich hier bin. Ich glaube, die Ruhe tut mir ganz gut. Aber sie stoßen einen immer mit der Nase auf den Grabstein, darüber besteht kein Zweifel. Sie wollen ständig von mir, daß ich in Würde sterbe. Ich, Jeff Flintiron, der noch nie in seinem Leben etwas Würdevolles getan hat. Wenn ich je geheiratet hätte, dann hätte ich Riemensandalen dazu angezogen und eine Nelke ans Sweatshirt geheftet. Wenn ich also abkratze, werde ich mir bei all der Würde verdammt komisch Vorkommen. So wie die Königin, die den Zuschauern zuwinkt, während ihr jemand den Teppich unter den Schuhen wegzieht.«
Ich meinte taktvoll, wenn die Zeit komme, müsse er sich so frei fühlen, genau das zu tun, wonach ihm gerade sei.
»Und noch was, Doc.«
Jeff faltete die Hände über der Brust. »Ich möchte nicht auf dem Friedhof hier begraben werden«, sagte er fest. »Ganz bestimmt nicht. Ich hab schon ein paar Bekannte auf ihrem letzten Weg begleitet, das ist reinste Massenabfertigung; ein McDonald’s, wo’s Menschenburger gibt.« Nachdenklich fuhr er fort: »Und dabei ist es das einzige Service, das nicht schnell sein sollte. Ich möchte, daß die Leute genug Zeit haben, um darüber nachzudenken, daß ich eigentlich doch nicht so ein mieser alter Bursche war. Es werden zwar nicht viele kommen, ich kann schließlich kein volles Haus erwarten, da doch alle meine Verwandten unten in Australien sind. Darum möchte ich auch, daß ich dorthin zurückgebracht werde, wo ich herkomme. Nach Woollabillabong, das liegt etwas außerhalb von Sydney. Können Sie das für mich machen?«
Bereitwillig stimmte ich zu, ihm diesen letzten Wunsch zu erfüllen.
»Sie müssen sich aber beeilen«, fügte er mißmutig hinzu. »Mrs. Watkins hat schon angefangen, mir die Kurzgeschichten vorzulesen.«
Am frühen Abend rief das Bestattungsinstitut in der High Street an. Da von den Patienten eines praktischen Arztes durchschnittlich zehn im
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