Wer abnimmt, hat mehr Platz im Leben
Buchstabierwettbewerb. Wie die Engländer vorm Elfmeterschießen. Dabei hatte Anne immer erzählt, es wäre ein total lustiger Abend. Ja genau, ein total lustiger Abend mit den übergewichtigen Damen des Dorfs, mit den Damen, die mir dreimal in der Woche als Nordic-Walking-Kampfformation entgegenkamen – natürlich alle nebeneinander –, wenn ich schweren Atems mit meinen Brooks Adrenalin 6 den Rheinuferweg entlanghastete. Gott sei Dank kündigten sie sich jedes Mal rechtzeitig vorher an, durch lautes Geschnatter und vor allem durch das Schleifgeräusch ihrer Stöcke, das mich immer an meine Schulzeit erinnert, wenn einer der Lehrer mal wieder mit der Kreide an der Tafel abrutscht. Man ist also gewarnt, man hört sie, bevor man sie sieht.
Diese Damen trafen sich also jeden Mittwoch bei den Weight Watchers im Pfarrheim zum gemeinschaftlichen Wiegen, zum Quatschen oder zum Rezepteaustausch. Im Prinzip sind solche Treffen wie Tupperpartys – nur mit Waage und ohne Schüsselchen.
Aber es ist schon peinlich, wenn die anderen mitkriegen, dass du in der letzten Woche zugenommen hast. Wir wohnen ja nicht in der Großstadt. Wir wohnen auf dem Dorf. Hier kennt jeder jeden, und mich kennen alle.
Wenn du also in der letzten Woche achthundert Gramm zugenommen hast, und du willst dich gerade rausreden mit zunehmendem Mond, besonderer Phase im Menstruationszyklus oder zu viel Haarspray, dann sagt die Nachbarin: »Jetzt hör aber auf. Ich hab genau gesehen, was ihr am Samstag auf dem Grill hattet. Und dann erst der Kartoffelsalat. Das war doch keine Schüssel. Das war eine Kinderbadewanne.«
Trotzdem ist das gemeinschaftliche Wiegen, das Gruppenerlebnis, natürlich wichtig bei den »Gewichtsbeobachtern«. Anne wog sich zu Hause schon immer mal vor, und wenn sie dabei feststellte, dass sie zugenommen hatte, dann stolzierte sie in ihrem sexy durchsichtigen Sommerkleid am 15 . Januar durch den Schnee zum Pfarrheim. Ohne Schmuck. Ohne Unterwäsche. Und nicht ohne vorher noch mal ausgiebig zur Toilette und zum Haarschneiden zu gehen. Jedes Gramm zählt!
Man will sich einfach keine Blöße geben, denn: »Big Mamas are watching you!«
Ich möchte hier erst gar keine Zweifel aufkommen lassen. Ich bin mir absolut sicher, dass die Weight Watchers eine richtig gute Sache sind. Das ist nicht irgendeine Crash- oder Mangel-Diät, bei der man in vier Wochen zwölf Kilo abnimmt, nur damit man entweder im Krankenhaus landet oder in den nächsten vier Wochen dreizehn Kilo zunimmt.
Wenn man die Weight-Watchers-Regeln einhält, dann hat man eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Ich gratuliere jedem, der das schafft, und ich wünsche auch viel Spaß bei den wöchentlichen Treffen, denn das sollen ja total lustige Abende sein. Mir fehlt dazu einfach die masochistische Ader. Und das Sommerkleid. Ich habe auch keine Lust, vor dem Essen anstelle des Aperitifs, des Tischgebets oder anderer Tischrituale auszurechnen, wie viele Punkte ich noch zu mir nehmen darf, damit ich beim nächsten Gemeinschaftswiegen nicht wieder gegen Jabba the Hutt verliere.
Und da sind wir auch schon beim zweiten Problem: Meine Schwiegermutter war schon vor zehn Jahren bei diesen Abenden, damals wurden Einheiten zusammengerechnet, bei Anne waren es Punkte, dann wurden es FlexPoints, heute sind es ProPoints. Die müssen sich ja immer wieder was Neues einfallen lassen, damit man auch einen Grund hat, jede Woche wieder hinzugehen. »Kundenbindung« nennt das der Marketingexperte. Eine Verbindung mit den Weight Watchers ist im Prinzip wie eine Ehe mit Jopi Heesters: Sie endet nie. Apropos: Die rückständigen Amis – wie der Name vermuten lässt, immerhin Ursprungsland der Weight Watchers – zählen übrigens immer noch Kalorien zusammen. Kein Wunder, dass die so fett sind.
Aber ich habe von Annes Weight-Watchers-Erfahrungen auch einiges mitgenommen. Acht Gläser Wasser musste ich jeden Tag trinken, und eine Milchmahlzeit musste dabei sein.
Das hat mir gefallen, und so erhebe ich auch heute noch achtmal am Tag mein Wasserglas auf das Wohl der Damengruppe im Pfarrheim. Ganz ehrlich: Viel Spaß und toi, toi, toi!
»Du musst nur wissen, wann«
»Beim Frühstück darf man nicht nur Kohlehydrate zu sich nehmen. Man muss es sogar«, sagte Anne, und die muss es ja wissen. Sie hatte das Buch gelesen.
Kohlehydrate haben bekanntlich mit Kohle zu tun. Kohle ist ein Brennstoff, und den braucht der Körper morgens, um das »Kraftwerk Körper« in Gang zu
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