Wer Andern Eine Grube Gräbt: Mitchell& Markbys Fünfter Fall
Handgriff noch erledigen und für sich sorgen konnte oder nicht. Es unterschied den Menschen von den Tieren, dieser Respekt vor dem Leben um des Lebens willen, trotz des unausweichlichen Endes. Ein Tier, das zum Schlachter gebracht wurde, sah einen manchmal unendlich vorwurfsvoll an, doch letztendlich akzeptierte es stets sein Schicksal. Der alte Mann war ein Kämpfer. Er würde niemals aufgeben.
Und was war mit menschlicher Zuneigung und Kameradschaft? Brian dachte lieber nicht über den Tod seines Onkels nach, weil er sich nicht ausmalen wollte, wie es wohl wäre, allein auf der Farm zu leben. Er hatte stets vor dem Gedanken zurückgescheut, dass es eines Tages soweit kommen würde. Doch es würde geschehen, und nichts und niemand konnte daran etwas ändern. Es war viel zu spät. Vielleicht hätte alles anders werden können. Manchmal fragte sich Brian, ob er seinen Onkel liebte oder ob er ihn hasste. Wahrscheinlich ein wenig von beidem.
Lionel blickte endlich in seine Richtung.
»Da bist du ja. Ich hab dir einen Becher Tee mitgemacht. Steh nicht herum und halte Maulaffen feil!«
Brian betrat die Küche auf Socken. Langsam und methodisch wusch er sich am Spülstein die Hände, während er seinen Onkel ununterbrochen verstohlen beobachtete. Dann trocknete er sich an einem alten Handtuch ab und näherte sich dem Tisch.
Lionel hatte den Tee bereits eingeschenkt und sich gesetzt. Sorgfältig löffelte er Zucker in seinen Becher. Brian sah ihm zu, wie er die heiße Flüssigkeit umrührte. Er bemerkte die purpurnen knotigen Adern, die deutlich auf den Handrücken seines Onkels hervortraten, walnussbraun gebrannt von der Sonne und den Jahren der Arbeit unter freiem Himmel. Und doch waren seine Hände noch immer stark und kraftvoll. Stark genug. Lionel legte den Löffel weg und griff nach seinem Buch. Er versäumte nie die Gelegenheit, ein paar Verse aus der Bibel zu lesen oder den einen oder anderen Abschnitt aus den viktorianischen Predigten.
Brian zögerte, dann streckte er die Hand aus und legte sie auf Lionels Schulter. Lionel blickte auf.
»Möglich, dass die Polizei hier vorbeikommt, Onkel Lionel. Scheint ein paar Probleme unten im Steinbruch gegeben zu haben.«
»Ich brauch sie nicht mehr, nicht, nachdem die verdammten Halunken weitergefahren sind!«, brummte Lionel.
»Aber das ist mal wieder typisch. Die Polizei kommt immer dann, wenn man sie nicht braucht. Ist dieser Markby auch dabei? Ein cleverer Bursche, alles, was recht ist. Die Markbys waren früher eine ziemlich große Familie hier in der Gegend. Ich erinnere mich noch an sie. Der alte Markby war Friedensrichter. Ein anderer war Pfarrer drüben in Westerfield. Ich verstehe einfach nicht, warum er nichts gegen dieses fahrende Volk unternommen hat! Sind schon seit Jahren tot, der Pfarrer und der Friedensrichter. Jetzt ist sein Sohn Polizeibeamter und die Tochter eine Anwältin oder so. Eigenartiger Beruf für ein Weibsbild. Aber die Markbys waren immer schon eine mächtige Familie von Gesetzeshütern. Richter. Es kommt eine Zeit des Richtens, Brian, vergiss das niemals!« Mag sie nur kommen!, dachte Brian grimmig. Aber es war wirklich nicht nötig, ihr entgegenzurennen. Er räusperte sich.
»Sie haben einen Leichnam gefunden, Onkel. Hat nichts mit uns zu tun.« Brians Stimme wurde energischer.
»Absolut nichts, und wir müssen nichts dazu sagen – kein einziges Wort. Sie werden Fragen stellen, ohne jeden Zweifel. Ob wir etwas gesehen oder gehört haben. Das ist Routine, Onkel, nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.« Die Hand auf Lionels Schulter drückte sanft, und Brian merkte, wie knochig der Alte unter dem Stoff seiner Jacke geworden war.
»Mach dir keine Gedanken, Onkel Lionel. Ich kümmere mich um alles.«
Meredith hatte eigentlich auf dem kürzesten Weg zur Grabungsstätte zurückkehren wollen. Vielleicht wurde sie bereits vermisst, und vielleicht fragte sich Alan, wo sie wohl steckte, obwohl er wahrscheinlich zu beschäftigt war, um sich diese Frage zu stellen. Doch Meredith stellte fest, dass sie wieder einmal vom Weg abgekommen war, vielleicht als Resultat ihrer Unterhaltung mit Brian Felston.
Sie war an der Stelle, wo sich der Weg gabelte, auf den breiteren Feldweg abgebogen, der am Lager der Hippies und an der Grabungsstelle vorbei hinunter zur Hauptstraße führte. Der Weg entpuppte sich als richtige unbefestigte Straße, voller Steine und Schlaglöcher, die sich den Hang hinunter wand. Einmal mehr passierte sie den
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