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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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errichtet worden und Reinhardt bezeichnete es gern als architektonische Perle. Es lag auf einer Anhöhe über der Stadt, und vom Balkon des ersten Stocks aus konnte man den Fluss und die vielen Brücken sehen, die wie breite Stiche über einer Wunde wirkten. Hinter dem Haus gab es einen kleinen Garten, umgeben von einer sorgsam geschnittenen Hecke, vor dem Haus stand eine Doppelgarage und eine von den Vorbesitzern hinterlassene Schaukel. Kristine starrte aus dem Fenster und stellte sich vor, dort sitze ihre kleine Tochter. Aber es gab keine kleine Tochter. Die Sehnsucht nach einem Kind beschwerte sie wie ein bleiernes Gewicht.
    Sie schaute ins Wohnzimmer. Reinhardt saß am Computer und spielte Everquest. Er war vollständig in sein Spiel vertieft, Kristine sah nur den breiten, unnahbaren Rücken. Sie versuchte, sich für ihn zu öffnen, sich für das zu öffnen, was gut war, die Eigenschaften, die sie schätzte. Aber das war schwer. Immer häufiger schlich sich ein Widerwille ein, und dieser Widerwille beschämte sie, denn sie hatte versprochen, bei ihm zu bleiben, bis der Tod sie schied. Ihr fiel auf, dass er unruhig war, er hatte etwas Gehetztes, schaute dauernd auf die Armbanduhr, ab und zu starrte er auf die Straße hinaus, als ob er auf jemanden wartete. Kristine nahm eine alte Zeitung, legte sie auf den Esstisch, dann machte sie sich daran, einen silbernen Leuchter zu putzen, der Lappen fuhr in harten, geschickten Zügen über das Metall. Wenn der Leuchter fertig poliert wäre, wollte sie für Jonas August eine Kerze anzünden. Das verriet sie Reinhardt nicht, er würde es ja doch nicht verstehen, und ihre Gedanken interessierten ihn nicht weiter. Das, was man sehen kann, muss reichen, sagte er, es hat keinen Sinn, Geheimnisse erraten zu wollen.
    »Irmelin und Kjell kommen gleich vorbei«, sagte er plötzlich. Er drehte sich auf seinem Stuhl um und sah sie an, er schien mit Widerspruch zu rechnen.
    »Sie sind in einer halben Stunde hier«, fügte er hinzu.
    Kristine sah ihn erschrocken an.
    »In einer halben Stunde? Und das sagst du erst jetzt?«
    Automatisch schweifte ihr Blick durch das Wohnzimmer, als gebe es Dinge, die weggeräumt werden müssten.
    Reinhardt schaltete den Computer aus.
    »Ich hab sie auf ein Glas Wein eingeladen«, sagte er.
    »Aber warum hast du nichts gesagt?«
    Er ging zum Sofa. Er ließ sich mit der Zeitung nieder, breitete sie demonstrativ auf dem Tisch aus.
    »Wir können ja wohl mit guten Freunden etwas trinken«, sagte er kurz.
    »Natürlich können wir das«, sagte sie, »aber du hättest mir früher Bescheid sagen können. Ich habe nichts, was ich ihnen anbieten könnte, Reinhardt, einfach rein gar nichts.«
    Er schüttelte gereizt den Kopf. »Wir müssen doch nicht essen«, sagte er. »Wir trinken einfach ein Glas. Sowas nennt man, es sich mit guten Freunden gemütlich machen.«
    Sie wollte nicht geizig sein. Es kam vor, dass sie Kjell und Irmelin einluden, dann gab es immer etwas zu essen. Deshalb wusste sie genau, was hier Sache war. Reinhardt stand natürlich kurz vor dem Platzen, und er hatte ja etwas zu servieren, er würde sich wahrscheinlich die ganze Nacht hindurch über Jonas August verbreiten, er würde sich im Licht der Aufmerksamkeit suhlen, und sie würde sich schämen. Etwas an der Art, wie er mit diesem Erlebnis umging, missfiel ihr ungeheuer, aber sie wusste auch nicht, ob ihre eigene Reaktion besser oder edler war.
    »Du hättest mich fragen können«, sagte sie noch einmal. Sie machte sich wieder an den Leuchter, inzwischen konnte sie sich im Sockel spiegeln.
    Er raschelte gereizt mit der Zeitung. »Ich muss ja wohl nicht um Erlaubnis bitten, wenn ich einen Kumpel einladen will«, sagte er. »Ich wohne schließlich auch hier, das ist mein Haus.«
    Das ist mein Haus. Als ob sie nur geduldet wäre. Sie gab keine Antwort, in ihrem Hals steckte ein Kloß. Sie machte den Leuchter fertig und holte aus einer Küchenschublade eine Kerze, zündete ein Streichholz an und nahm den angenehmen Duft von brennendem Schwefel wahr. Dann sah sie eine Weile der unruhigen Flamme zu.
    »Die flackert«, sagte sie. »Sieh mal.«
    Reinhardt schaute auf.
    »Durchzug«, sagte er.
    »Es gibt keinen Durchzug. Nichts steht offen.«
    »Schalte das Radio ein«, sagte Reinhardt. »Es ist Zeit für die Nachrichten. Wir müssen hören, ob es etwas Neues gibt.«
    Sie gehorchte. Eine Frau berichtete über den Fund im Linde-Wald.
    »Er war ein Einzelkind«, flüsterte Kristine.
    Dieser Gedanke

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