Wer anders liebt (German Edition)
sagte Kristine. »Wir sind ja ziemlich plötzlich aufgetaucht.«
Reinhardt grunzte verärgert. »Ja, ja, du gehst ja immer auf Nummer sicher, Schatz, aber irgendwann kommt die Wahrheit doch ans Licht.«
»Aber war er denn erwürgt worden?«, fragte Irmelin.
»Wissen wir nicht«, flüsterte Kristine.
»Habt ihr ihm den Puls gefühlt?«
»Nein«, sagte Reinhardt. »Das war nicht nötig. Seine Haut hatte so einen bläulichen Schimmer, ein bisschen wie Marmor. Ich habe sofort gesehen, dass er tot war.«
»Können wir über etwas anderes reden?«, bat Kristine.
Reinhardt sah sie an.
»Über solche Dinge soll man aber reden«, sagte er. »Man soll darüber reden, damit man sie verarbeiten kann.«
»Aber du willst das doch gar nicht verarbeiten.«
Reinhardt warf den Kopf in den Nacken.
»Hör mal«, sagte er streng, »ich rede, worüber ich will. Das darf ich vielleicht noch?«
Irmelin und Kjell tauschten einen Blick und Kristine verstummte. Sie stand auf und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Irmelin kam hinterher.
»Ich kann mir das einfach nicht mehr anhören, ich versuche, es zu vergessen«, flüsterte Kristine. Sie füllte Kaffee in den Filter, vergaß dabei, die Menge zu bedenken. Irmelin musterte sie mitfühlend, auch sie war von dem Gehörten wie gelähmt. Das hier war nicht nur eine Zeitungsmeldung, das hier war wirklich.
»Weißt du, was er getan hat?«, flüsterte Kristine. »Er hat da oben mit dem Handy Fotos gemacht.«
»Was?« Irmelin starrte sie an.
»Er ist in die Hocke gegangen und hat jede Menge Bilder gemacht.«
»Doch nicht von dem Jungen?«
»Doch. Ich wette, dass er sie gerade Kjell zeigt.«
Sie horchten zum Wohnzimmer hinüber. Die Männer redeten mit gedämpften Stimmen, sie hörten Kjells tiefen Bass und Reinhardts Tenor.
»Ich fürchte, er wird sie auch bei der Arbeit zeigen, er wird mit dem Telefon in die Kantine gehen und sie allen zeigen. Du weißt doch, wie er ist.«
Irmelin sah sie eindringlich an.
»Du wehrst dich nie. Du musst auf den Tisch hauen, Kristine, er hat zu große Macht über dich.«
»Das weiß ich.«
Der Kaffee sickerte in die Kanne. Draußen zog sich der Himmel zu und in der Küche wurde es dunkel.
»Alles ist so hoffnungslos«, sagte Kristine. Sie zuckte ohnmächtig mit den Schultern. »Manchmal möchte ich einfach eine Tasche packen und gehen. Aber ich weiß nicht, wohin.«
»Wie lange geht das eigentlich schon so?«, flüsterte Irmelin. »Ich habe dich schon so lange nicht mehr richtig froh gesehen.«
Kristine überlegte.
»Wenn ich ehrlich sein soll, dann ist es seit Jahren so. Ich kann die Tage fast nicht mehr ertragen, geschweige denn die Nächte. Wenn er da neben mir liegt und atmet.«
Sie sah ihre Freundin von der Seite her an, wusste nicht so recht, wie ehrlich sie sein wollte. »Ich mag auch seinen Geruch nicht, ich mag seine Stimme nicht. Er braucht soviel Platz. Ich will, dass er anderswo schläft, ich will eigentlich allein sein.«
»Du hast doch keine Angst vor ihm«, fragte Irmelin. »So wird das doch wohl nicht sein?«
»Nein. Angst nicht. Aber wenn er so losredet, bin ich total hilflos.«
»Du setzt dich nicht durch.«
»Ich trau mich nicht«, sagte Kristine beschämt. »Ich weiß nie, was passiert, wenn ich ihm widerspreche.«
Irmelin drückte ihre Hand. »Mach einen Versuch«, sagte sie. »Mach es einmal und warte ab, was geschieht. Er wird dich doch wohl nicht schlagen?«
»Das nicht, schlagen würde er mich nie. Aber er würde mich auf andere Weise fertigmachen. Ich bin ein Feigling.«
»Du musst dich ein für allemal aufrichten und deine Meinung sagen«, sagte Irmelin eindringlich. »Er kann es ertragen, du sagst doch, dass er stark ist.«
»Ich habe Angst, dass etwas zerstört würde«, sagte Kristine, »wenn ich meine Meinung sage. Wenn ich plötzlich ganz ehrlich wäre, wäre nichts mehr so wie vorher.«
»Aber das willst du doch auch nicht. Versuch, etwas zu ändern, steh auf und sag deine Meinung. Vielleicht geht das besser, als du denkst.«
Kristine nahm Becher aus dem Schrank und schenkte Kaffee ein.
»Eigentlich würde ich gern gehen«, sagte sie, »aber ich will nicht gehen, ohne etwas mitzunehmen. Wenn ich nichts mitnehmen kann, sind all diese Jahre vergeudet.«
»Etwas mitnehmen? Wie meinst du das?«
»Ein Kind«, sagte sie.
»Du willst ein Kind von ihm? Wo du ihn so wenig leiden kannst?«
»Ich hab doch sonst keinen«
Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Und ich bin siebenunddreißig.«
Dann
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