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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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scharfen Bogen, dann führte er wieder nach oben. Dort unten auf dem Grund blieben sie stehen und tauschten einen Blick, sie lauschten dem Wasser, das über die Steine brauste. Sejer machte einige Schritte, dann hielt er inne und schaute sich um.
    »Hier«, sagte er. »Genau hier ist es passiert. Hier unten in der Schlucht. Hier hat ein Auto angehalten und ihn mitgenommen.«
    Er bückte sich und hob etwas auf.
    »Hier ist der Stock«, sagte er. »So einer, der im Winter im Schnee den Straßenrand markiert.«
    15
     
    Sie untersuchten Weg und Straßengräben, aber mehr fanden sie nicht. Die Warnung der Mutter wehte vorüber, kaum merkbar, wie eine Feder an der Wange, und Jonas hatte den Stock weggeworfen und war in ein fremdes Auto eingestiegen. Denn Menschen sind unstete Wesen und sie folgen Impulsen, die sie später nicht erklären können.
    Sejer und Skarre gingen zurück zum Auto. Aus aufrichtiger Neugier und ganz ohne Hintergedanken fuhren sie weiter zu den alten Häusern am Flussufer. In einem der Häuser, in dem früher eine Apotheke gewesen war, hauste jetzt ein wegen Pädophilie vorbestrafter Mann. Er hieß Philip Åkeson. Sie erinnerten sich an ihn als munteren, umgänglichen, offenen und großzügigen Menschen, und sie beschlossen, mit ihm zu sprechen. Schwierig würde das sicher nicht werden. Während des Prozesses acht Jahre zuvor, als ihm die sexuelle Belästigung etlicher kleiner Jungen zur Last gelegt worden war, hatte er den ganzen Saal mit seinem Charme gewonnen, er hatte mit großer Begeisterung und ohne Ausflüchte seine Leidenschaft für Kinder zugegeben. Aber er hatte den Geschworenen auch seine Probleme dargelegt. Er versuchte dabei nicht, sich zu entschuldigen oder seine Taten zu bagatellisieren, er kam dem Justizapparat entgegen und brachte sich voll und ganz ein. Er wünschte sich Hilfe und machte sich Sorgen um die Jungen, an denen er sich vergangen hatte. Seine Rede war lang und überzeugend, er schien ehrlich zu bereuen und einige Male war sein ansteckender Humor zum Vorschein gekommen. Seine Worte bildeten einen gleichmäßigen, melodischen Strom.
    Die Männer fuhren durch die Stadt, der Fluss floss zu ihrer Linken, breit und wild.
    »Ja, ja«, sagte Skarre nachsichtig. »Auch Pädophile sind ja Menschen, selbst wenn sie Kinder vorziehen. Aber es gibt eben Bilder, und die sind unangenehm. Es ist schwer, einen klaren Kopf zu behalten.«
    »Es ist schwer«, sagte Sejer. »Aber genau das müssen wir. Die Veranlagung ist das eine, sie auszuleben, ist ein Verbrechen. Ich schätze, dass die Dunkelziffer groß ist. Es ist sicher schwer, sich immer verstecken zu müssen, niemals sich selbst sein zu dürfen.«
    »Warum sind es vor allem Männer?«, fragte Skarre.
    »Naja«, sagte Sejer. »Wir wissen ja nicht sehr viel darüber, aber mit Nähe und Gefühlen können Frauen viel besser umgehen als Männer. Wir reden hier von Männern, die keinen Kontakt zu ihren eigenen Gefühlen haben. Sie brauchen dafür ein Objekt. Dann versuchen sie, ihr Problem dadurch zu lösen, dass sie eine Paraphilie entwickeln. Paraphilie bedeutet, etwas anderes zu lieben.«
    Er hielt vor einer roten Ampel. »Ich meine, etwas anderes als das, was üblich ist, verstehst du? Manche wollen ganz kleine Kinder, andere wollen sie, wenn sie sich entwickeln, in der Pubertät. Einige verlieben sich ehrlich in ein bestimmtes Kind, andere springen auf alle möglichen Kinder an, weil sie klein und zierlich sind und kontrolliert werden können.«
    Die Ampel schaltete auf grün um, er überquerte die Kreuzung. »Es ist eigentlich schrecklich«, sagte er. »Während die Homosexuellen endlich akzeptiert werden, werden pädophile Männer immer ausgestoßen bleiben. Sie werden verachtet und können niemals auf Verständnis hoffen.«
    Er bog von der Straße ab und hielt vor dem grünen Apothekengebäude, in dem sich sofort eine weiße Gardine bewegte.
    Åkeson öffnete, noch ehe sie klingeln konnten. Er hatte sich nicht verändert, sein Gesicht war erstaunlich rund und glatt, seine Augen waren braun und lebhaft, sie strahlten beim Anblick der beiden Männer. Er hatte schütteres Haar, eigentlich nur noch ein wenig Flaum, wie Engelshaar, einige Strähnen fielen ihm in die Stirn. Er hatte einen runden Körper mit kurzen Gliedern, jetzt streckte er eine Hand aus und grüßte überschwänglich.
    »Sieh an, sieh an«, sagte er. »Diese beiden Herren sind also unterwegs. Ja, ich habe Sie in letzter Zeit ja mehrmals in der Zeitung gesehen, das hier

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