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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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von Kriminalität hin, die es nur an anderen Orten gab, in anderen Erdteilen. Unter korrupten Regimes in Armut und Not, wie Russland, wo kleine Jungen häufig entführt wurden.
    »Wir werden einen Schritt nach dem anderen machen«, sagte Sejer, »und vielleicht taucht Edwin auf, während wir hier noch miteinander reden. Wir haben das schon oft erlebt, und wenn er dann auftaucht, wird er sicher eine gute Erklärung haben.«
    Er konnte sehen, dass sie sich alle Mühe gab, ihm zu glauben, dass sie eine starke Stimme brauchte, eine Überzeugung, die ihre Angst lindern konnte.
    »Er hat seit mehreren Stunden nichts gegessen«, rief sie dann, »und er kommt nicht lange ohne Essen zurecht.«
    Sejer wanderte im Zimmer hin und her. An den Wänden hingen weitere Bilder von Edwin, sie waren nicht ganz neu, er konnte deutlich sehen, wie der Junge mit jedem Jahr zugenommen hatte. Auf einem Bild war Edwin ein Baby, das auf dem Arm eines Mannes saß. Sejer fragte Tulla Åsalid nach Edwins Vater.
    »Der wohnt in Deutschland«, antwortete sie, »in München, er hat eine neue Familie.«
    Bestimmt hat Tulla Åsalid diese Beziehung beendet, dachte Sejer, sie sprach alle seine Sinne an, und trotz der Situation strahlte sie eine Sinnlichkeit aus, die sich nicht ignorieren ließ. Er ging weiter im Zimmer hin und her. Es war elegant möbliert, an den Wänden hingen mehrere Gemälde, sie waren gut. Auf dem Boden lagen Perserteppiche, die Vorhänge waren cremefarben, und eine blutrote Decke war achtlos über das Sofa geworfen. Hinter allem stand eine klare Vorstellung, die jetzt aber nichts mehr bedeutete. Leblose Gegenstände waren leblose Gegenstände. Aus dem Augenwinkel heraus sah Sejer, dass Skarre notierte. Tulla leierte Namen und Adressen herunter, rannte los, um Telefonnummern zu holen, erzählte von ihrem Geliebten, Ingemar, immer wieder versuchte sie, ihn anzurufen, endlich erreichte sie ihn. Als sie seine Stimme hörte, brach sie vollständig zusammen.
    Sejer ertappte sich dabei, dass er auf die Straße hinaus schaute, für den Fall, dass Edwin auftauchte, groß und dunkel und lockig. Er hatte das schon früher erlebt, er hatte das heftige Wiedersehen von Mutter und Kind beobachtet, wenn sich alle düsteren Phantasien in Luft auflösten. So wollte er es, er flehte das Schicksal um einen glücklichen Ausgang an. Einen beängstigenden Moment lang stellte er sich vor, dass Kind Nr. 3 verschwand, und dass der Druck durch Medien und Öffentlichkeit sein Dasein zum Einsturz bringen würde, er stellte sich Kritik und Handlungsunfähigkeit vor, endlose Pressekonferenzen mit Hagelschauern aus Fragen und Tadel, und schlaflose Nächte. Er wanderte weiter und betrachtete ein Regal voller Bücher, sein Blick schweifte über die Titel. »Söhne und Liebhaber«, »Die Sieger«, der Koran. Im Regal standen auch ein versilberter Kinderschuh und ein Sparschwein. Sein Telefon vibrierte in seiner Tasche, und er meldete sich, während er vor dem Fenster stand.
    »Ja«, sagte er. »Das stimmt. Nein, er ist noch nicht wieder aufgetaucht, wir bleiben hier, bis ihr Freund kommt, er ist jetzt unterwegs und wird über Nacht bleiben. Wir rufen in regelmäßigen Abständen seine Kumpels an, wir haben sie bisher nicht erreicht, zwei Wagen sind unterwegs, aber die haben sich noch nicht gemeldet. Ja, wir schauen vorbei. Ist in Ordnung.«
    Er steckte das Telefon wieder in die Tasche. Eine halbe Stunde später traf Ingemar Brenner ein, Tulla warf sich in seine Arme und schluchzte. Die Ermittler verabschiedeten sich bis auf Weiteres und fuhren in Richtung Wache, nach fünf Kilometern passierten sie das Zentrum von Huseby. Skarre hielt eine Landkarte auf dem Schoß, um sich mit der Gegend vertraut zu machen.
    »Am Westufer liegt eine Neubausiedlung«, sagte er, »und die Straßen da haben ziemlich ausgefallene Namen. Irgendwer bei der Gemeindeverwaltung hat offenbar eine lebhafte Phantasie. Hör dir das an: Überholbahn und Abkürzung. Abseits. Erster Ausweg. Letzter Ausweg. Und dieser hier ist noch besser«, fügte er hinzu, »eine kleine Sackgasse, die Schandecke heißt.«
    »Von der hab ich schon gehört«, sagte Sejer.
    »Wo wohnst du?«, fragte Skarre scherzend. »Ich wohne in der Schandecke, und da habe ich mein ganzes Leben verbracht.«
    Er faltete die Karte zusammen.
    »Ich bin offenbar nicht ganz klar bei Verstand«, sagte er beschämt.
    »Nein?«
    »Möglicherweise haben wir es mit einem sehr gefährlichen Mann zu tun. Und ich reiße Witze.«
    »Wir können

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