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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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geschlagen. Sie lächelte, kokett. Sie schienen ein Spiel zu spielen, und sie liebten dieses Spiel, Sekunde um Sekunde verschlangen sie einander mit Blicken. Dann trat er ins Haus und ging in die Diele, er presste sie gegen die Wand, seine Hände rechts und links neben ihrem Kopf. So stand sie in der Falle da, und das gefiel ihr, ihre Augen fielen zu. Sie roch Rasierwasser und Seife, und etwas anderes, etwas Männliches. Er küsste sie auf den Mund. Sie öffnete die Augen und sah ihn an.
    »Hast du Edwin gesehen?«, fiel es ihr plötzlich ein.
    »Edwin?«, fragte er mit aufgesetzter Gleichgültigkeit.
    Sie wollte aus der Falle heraus, er hielt sie fest.
    »Ich hab keinen Edwin gesehen«, sagte er scherzend. »Komm, lass uns Essen machen, Tulla.«
    »Tacos«, sagte sie, um ihn zu verlocken.
    Er machte einen Schmollmund.
    »Das Dessert hätte ich gern im Bett«, schnurrte er und rieb seine Nase an ihrem Hals. Wieder wollte sie sich losreißen, sie wollte mehr Kontrolle, aber sie war am ganzen Körper schwach. Und das wollte er, jetzt war er zufrieden. Endlich wich er zurück. Sie sprang die Treppe hoch und schaute auf die Straße hinunter, sah endlich ihren Sohn, der auf das Haus zukam. Sie rannte wieder nach unten in die Küche, Ingemar hob die Packung mit Hack an seine Nase.
    »Wir essen das roh«, schlug er vor.
    Jetzt musste Tulla lachen. Das Lachen kam aus ihrer Tiefe und kullerte in die Küche, hell und glücklich.
    Edwin blieb im Gang stehen, er war unsicher.
    Er lehnte seinen schweren Körper an die Wand und hielt die eiskalte Schachtel ein Stück von sich weg. Er hörte seine Mutter in der Küche laut lachen, als sei sie weit fort und habe das starke Band zwischen ihnen gekappt. Ingemar Brenner brachte sie auf diese Weise zum Lachen. Er wollte warten, bis es wieder still wurde, aber etwas war seltsam an dieser Stille, er wusste nicht, was sie dann machten, und auch das war schwer für ihn. Edwin hatte eine Schachtel Johannisbeereis gekauft, Royal war nicht vorrätig gewesen. Er hörte den Eiswagen losfahren, die Glocke ertönte weiter oben auf der Straße und wurde leiser. Wieder hörte er seine Mutter lachen, er hatte die Hand auf der Klinke liegen, am Ende öffnete er die Tür und ging hinein.
    »Edwin«, hörte er sie sagen. Seine Mutter kam auf ihn zu. »Wo warst du nur so lange?«
    »Er hatte kein Royal«, sagte Edwin. Er starrte Ingemar verlegen an, und alles war ihm peinlich, dass er im Weg war und dass er fett war.
    »Kann ich sofort ein Eis haben?«
    »Kannst du nicht bis nach dem Essen warten?«, fragte Tulla verzweifelt.
    Seine Augen wurden blank, er brauchte das Eis doch so dringend.
    »Gib dem Jungen doch ein Eis«, sagte Ingemar munter.
    Tulla gab den Männern in ihrem Leben nach. Edwin nahm sich ein Johannisbeereis, riss das Papier herunter und bohrte die Zähne hinein.
    Abends saßen sie vor dem Fernseher.
    Ingemar saß in der Sofaecke und hatte die Füße auf die Sitzfläche gezogen, Tulla schmiegte sich zwischen seine Knie. Edwin saß in einem Sessel, auf dem Tisch lagen Papier und Eisstiele, er hatte schon vier gegessen. In den Händen hielt er ein Spielzeugtier, eine Echse, die mit feinem Sand gefüllt war, jetzt streichelte und streichelte er mit der Schwanzspitze über seine Lippen. Diese wiederholte Berührung versetzte ihn in Trance. Er war satt und verspürte eine Art Ruhe, aber die war nie von Dauer, dann kam der Hunger zurück und störte ihn. Das Fernsehen war nur ein Flimmern ohne Inhalt, ab und zu durchbrach das Lachen seiner Mutter alles, wenn auf dem Bildschirm etwas Komisches passierte. Ingemar spielte mit ihren Haaren. Wenn Ingemar im Haus war, war die Mutter unerreichbar. Alles war besser, ehe Ingemar gekommen ist, dachte Edwin, zum Glück ist er nicht oft da. Er reiste umher und hielt Vorträge, hatte die Mutter erklärt. Er rief abends oft an, und die Mutter erwachte zum Leben wie ein Spielzeug zum Aufziehen.
    »Hausaufgaben, Edwin«, sagte sie plötzlich. »Hast du Hausaufgaben auf?«
    Ihr war plötzlich eingefallen, dass er dort saß. Er presste die Echse zusammen und schüttelte den Kopf.
    »Als ich zur Schule ging, hatten wir immer Aufgaben auf«, sagte Tulla, »ich begreife nicht, was ihr da macht.«
    »Wir machen die in der Schule«, erklärte Edwin. »In der letzten Stunde, und das heißt Projekt.«
    »Dann sind das doch keine Hausaufgaben«, sagte Tulla.
    Edwin zuckte mit den Schultern. Wieder hob er die Echse an den Mund. Bald würden sie ihn ins Bett schicken.

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