Wer anders liebt (German Edition)
schrill werden. »Es geht um den Mann aus dem Linde-Wald, den ihr seit dem 4. September sucht. Meine Frau und ich haben Jonas August gefunden, und wir haben einen Mann in einem blauen Anorak gesehen. Wilfred Brein aus Huseby. Habt ihr mit ihm geredet? Hat er ein Alibi?«
»Solche Fragen darf ich Ihnen nicht beantworten«, sagte sie kurz. »Aber ich habe Ihren Hinweis notiert, und wir werden der Sache nachgehen.«
»Hören Sie«, sagte Reinhardt. »Können Sie nicht nachsehen, ob jemand bei ihm war? Es kommt doch vor, dass die Polizei sich irrt. Wenn mein Hinweis verloren gegangen ist, ist es möglich, dass ein Mörder ungeschoren davonkommt. Macht diesen Fehler lieber nicht, das wäre überaus peinlich für euch.«
Er hörte am anderen Ende der Leitung ein Seufzen.
»Na gut. Ich werde mich erkundigen. Warten Sie einen Moment.«
Er wartete. Kristine stand neben ihm, auch sie wartete.
»Wie kann es sein«, sagte sie, »dass sie dermaßen herumtrödeln.«
»Die haben doch ihre Vorschriften«, sagte Kristine. »Die können nicht so einfach Vernehmungen durchführen.«
»Ich versuche, meine Pflicht zu tun«, sagte Reinhardt. »Aber wenn die uns nicht ernst nehmen, dann werden sie es büßen. Dann gehe ich zur Presse.«
»Die haben Hunderte von Anrufen bekommen«, sagte Kristine. »Du bist nur einer von vielen.«
Reinhardt wollte aber nicht einer von vielen sein. Er kritzelte etwas auf einen Block, Scheißmörder, las Kristine.
»Hallo? Sind Sie noch da?«
»Ja. Was haben Sie festgestellt?«
Er ließ den Kugelschreiber fallen und stellte sich gerade hin.
»Hier liegt offenbar ein großes Missverständnis vor«, sagte die Beamtin.
»Wieso denn Missverständnis?«
»Ich habe den Bericht gefunden«, sagte sie. »Wir haben bereits gestern einen Wagen zu Wilfred Arent Brein geschickt. In den Granåsvei in Huseby.«
»Ja?«
»Er sitzt im Rollstuhl.«
Reinhardt glotzte Kristine an.
»Was? Rollstuhl?«
»Er ist Rollstuhlfahrer«, wiederholte die Beamtin.
»Nein, jetzt hören Sie aber auf, das kann nicht stimmen. Wir haben ihn im Supermarkt gesehen, er hat dort eingekauft, und er fährt einen weißen Toyota. Nein, das habt ihr missverstanden, meine Frau und ich haben gesehen, dass er gehen kann. Er zieht nur das eine Bein ein wenig nach. Verdammt!«
Er schnaubte gereizt.
»Stellen Sie mich zu Sejer durch«, verlangte er.
»Der ist nicht im Haus, aber ich habe notiert, was Sie sagen. Wir haben jedoch entsetzlich viel zu tun und wir können keine Zeit mit falschen Informationen verschwenden.«
Reinhardt knallte den Hörer auf die Gabel.
»Rollstuhl?«, fragte Kristine verständnislos.
Ich kann ihn verlassen, dachte Kristine, ich kann ein wenig Geld beiseite legen und mir ein Zimmer suchen, das kann ich schaffen. Er muss mich gehen lassen, ich halte es nicht mehr aus, kann es nicht mehr aushalten, dass er nie zuhört. Missmutig ließ sie sich in einen Sessel fallen. Reinhardt war aus dem Haus gestürzt, sie hatte keine Ahnung, wo er hinwollte. Gott weiß, wo er ist, dachte sie, und was er macht. Ihr kam das Leben seit dem 4. September unmöglich vor, etwas war in Reinhardt ausgebrochen, von dem sie nichts gewusst hatte. Jetzt war er weg, und im Haus herrschte Stille wie nach einem Sturm. Sie versuchte, sich ein Leben allein vorzustellen, wie schön das wäre. Sie würde alles selbst entscheiden, sich ihren eigenen Körper zurückholen, ihr Leben mit guten Dingen füllen, vielleicht mit einem Kind. Sie hätte Ruhe vor seiner lauten Stimme, seiner ständigen Anwesenheit, die alles dominierte. Dann verdrängte sie diese Vorstellungen wieder, plötzlich sah sie Reinhardts Reaktion vor sich. Wenn du mich verlässt, schlag ich dich zum Krüppel, hatte er gesagt, und diese Worte hatten sie entsetzt, aber sie hatte sie dennoch als Witz abgetan, so war er doch nicht. Plötzlich wurde sie wütend, weil die Polizei den Fall mit den beiden Jungen nicht hatte klären können. Sie ging im Zimmer hin und her, auf eine ewige, rastlose Wanderung, ab und zu schaute sie hinaus auf die Straße, aber der Rover war nicht zu sehen. Sie ging zu seinem Schreibtisch, an dem er immer mit dem Rücken zu ihr saß. Was muss ich mitnehmen, wenn ich gehe, überlegte sie, Kleider, Bücher, wichtige Papiere. Mein Pass, fiel ihr dann ein, wo ist mein Pass? Vielleicht war er in Reinhardts Schreibtisch. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wo der Pass sein könnte, sie musste eine Schublade nach der anderen durchsuchen, alle waren
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