Wer anders liebt (German Edition)
faltete sorgfältig die Einkaufstüten zusammen und legte sie in eine Schublade, er wollte sich jedoch nicht setzen. Dass er noch immer stand, betonte den Ernst der Lage.
»Zwei Jungen sind verschwunden«, sagte er. »Und die Leute brauchen einen Sündenbock. Heute stand in den Zeitungen, dass es sehr gut jemand gewesen sein kann, der sie kannte. Ich finde, du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Alle wissen, dass die Kinder dir hier die Tür einrennen, und jetzt denken sie sich ihren Teil.«
»Die Schüler brauchen Betreuung«, sagte Alex. »Es ist soviel passiert, und ich muss etwas unternehmen. Sie sitzen stundenlang an dem Puzzlespiel, Johannes, das tut ihnen gut, sie lernen Geduld und Disziplin, und davon haben Kinder heutzutage nicht allzu viel. Hör doch, wie still es ist.«
Er nickte zum Wohnzimmer hinüber.
»Und dann flechte ich ein wenig Geschichte ein. Wenn ihre Eltern Angst haben, sollen sie sich melden, dann können wir darüber reden. So lange ich nichts höre, gehe ich davon aus, dass alles in Ordnung ist.«
Johannes schüttelte den Kopf.
»Du begreifst den Ernst der Lage nicht«, sagte er. »Es sind üble Gerüchte im Umlauf.«
»Vielleicht spielt sich das alles nur in deiner Phantasie ab«, sagte Alex. »Du glaubst, dass die Leute es auf dich abgesehen haben, dass sie dich aus irgendeinem Grund bestrafen wollen, aber das wird nicht passieren, also reg dich ab.«
Er stützte die Ellbogen auf den Tisch, jetzt wurde er trotzig.
»Das Leben ist herrlich, Johannes.«
Johannes machte sich ans Kochen, aber seine harten Bewegungen verrieten ihn. Alex ging wieder ins Wohnzimmer zu den Jungen.
»Wie sieht’s aus?«, fragt er. »Wer gewinnt?«
»Godwinssohn«, sagte Markus.
»Godwinssohn schlägt Hardråde zu Brei.«
»Was macht ihr denn jetzt, habt ihr einen Plan?«
»Wir sammeln alle Teile mit Blut«, sagte Oscar.
»Und dann könnt ihr alle Teile mit Eisen sammeln«, sagte Alex. »Alle mit Wasser. Alle mit Himmel. Geht systematisch vor!«
Die Jungen suchten Teile heraus und legten sie auf kleine Haufen.
Alex hob einen abgehackten Arm hoch und beschrieb mit entsetzlichen Details, wie die Wunde mit glühendem Eisen ausgebrannt werden musste, um die Blutung zum Stillstand zu bringen.
»Stellt euch das Geräusch vor«, sagte er, »wenn das Eisen sich in den Armstumpf bohrte. Es zischte wie Speck in der Bratpfanne.«
»Ist Johannes sauer?«, fragte Markus. Er schielte zur Küche hinüber.
»Nicht sauer«, sagte Alex lächelnd. »Er hat Angst. Vor allem, was vielleicht passieren kann, was aber niemals passiert.«
Die Jungen nickten.
»Wollt ihr ein bisschen Kleinsuppe? Johannes kocht gerade welche.«
Die Jungen wussten nicht so recht, was Kleinsuppe wohl sein mochte, aber sie nahmen dankend an.
»Wer hat nachher aufgeräumt?«, fragte Oscar. »Wer hat Arme und Beine aufgesammelt? Wer hat die toten Pferde und die toten Leute begraben?«
Alex zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber sicher hatten sie da irgendein System, es gab doch viele Schlachten. Aber es waren harte Zeiten, und ihr habt großes Glück, dass ihr heute lebt.«
Er ging in die Küche, um Johannes mit dem Essen zu helfen, griff zu einem Messer, nahm eine Porreestange und schnitt sie in dünne Scheiben.
»Sie fühlen sich geborgen und konzentrieren sich auf das, was sie tun«, sagte er. »Sie sind die besten Freunde. Sie haben Hunger, und bald bekommen sie eine warme Suppe. Das Leben ist ziemlich gut«, sagte er. »Das Leben ist besser als sein Ruf, Johannes, und das gilt auch für die Menschen.«
Johannes drehte sich um und sah ihn an. Seine kurzen Haare endeten in einem langen, schrägen Pony.
»Dir fehlt es nicht an Worten, das muss man dir lassen«, sagt er resigniert. »Aber das Leben ist kein Spiel und auf die Leute ist kein Verlass. Und ich fürchte, das wirst auch du einmal lernen müssen.«
Er ließ Wasser in einen Kochtopf laufen, legte das Gemüse hinein und den Deckel darauf.
»Aber deshalb liebst du mich doch«, sagte Alex lächelnd. »Du bist seit zehn Jahren bei mir und hast das nie bereut.«
»Doch«, widersprach Johannes. »Das habe ich bereut. Die Götter wissen, dass ich es bereut habe. Ich werde nie soviel Freude am Leben haben wie du.«
»Aber das habe ich doch nie von dir verlangt«, sagte Alex. »Du sollst so sein, wie du bist, aber du darfst dir nicht im Voraus Sorgen machen, dann wirst du krank und ängstlich und alt und grau, lange vor deiner Zeit. Gib mir die
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