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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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außerhalb Ihrer Kontrolle, das ist bei uns allen so. Aber Sie haben vielleicht in Bezug auf das Gesetz die Pflicht, gewisse Konsequenzen zu ziehen. Und das haben Sie nicht, oder?«
    Sejer sah ihn eindringlich an.
    »Jonas August ist tot.«
    Brein nickte.
    »Ich kann es nicht ertragen«, flüsterte er.
    »Was ist aus Ihrer Ehe geworden?«
    »Die ging natürlich in die Brüche«, sagte Brein. »Sie wissen doch, dass ich andere Sehnsüchte hatte. Ich hatte das Gefühl, zu spielen, falsch und gemein zu sein. Und Irina fühlte sich vernachlässigt. Also entstand eine Distanz zwischen uns, die jedes Jahr größer wurde. Ich unterdrückte meine Veranlagung und war am Ende einfach erschöpft. Sie wissen nicht, wie das ist«, klagte er, »es nimmt alle Kraft.«
    Sejer nickte.
    »Eines schönen Tages packte sie ihre Koffer und ging«, sagte Brein. »Und ich saß mutterseelenallein da. Und da schienen alle Stricke zu reißen, nichts hielt mich noch fest, ich war wütend und beleidigt und hatte Angst, ich konnte nicht klar denken. Andere sind einfach glücklich«, sagte er, »sie sind stolz auf ihre Gefühle, sie halten sich für gut. So sehe ich meine Gefühle auch. Ich saß im Auto und sah die Kinder aus der Entfernung und träumte und phantasierte.«
    »Oft standen Sie vor der Solberg-Schule, nicht wahr?«
    »Ja. Ich mag den Augenblick, wenn es klingelt und sie auf den Schulhof stürzen, wissen Sie, wie Bonbons aus einer Tüte.«
    »Aber Sie haben sie nie angerührt«, fragte Sejer. »Sie haben nur durch das offene Fenster mit ihnen geredet?«
    »Ich habe mich am Riemen gerissen«, versicherte Brein. »Ich bin siebenundvierzig und ich habe mich immer am Riemen gerissen. Nur, damit das gesagt ist.«
    »Sie haben sie nie ins Auto geholt?«
    »Ich habe mich nicht getraut«, sagte Brein. »Ich hatte einfach nicht genug Vertrauen zu mir. Also bin ich nach Hause gefahren und saß allein in meinem Wohnzimmer, allein mit meiner Sehnsucht. Das ist hart. Es ist etwas, das Sie von innen her auffrisst.«
    »Was waren Sie von Beruf? Ehe Sie in Frührente gegangen sind?«
    »Ich bin Krankenpfleger«, sagte Brein. »Ich bin es gewöhnt, mich um Menschen zu kümmern. Ich habe meine Arbeit geliebt, ich kam mir wichtig vor. Aber dann hatte ich Pech, ich wurde auf einem Zebrastreifen angefahren und wurde verletzt. Das ist jetzt acht Jahre her. Seither sitze ich vor allem im Haus. Meine einzige Geselligkeit ist ab und zu ein Ausflug in den Laden. Und ich sehe rund um die Uhr fern.«
    »Was war anders an Jonas August?«, fragte Sejer. »Am Ende haben Sie eine Entscheidung getroffen, Sie haben ihn in Ihr Auto geholt. Erzählen Sie mir davon.«
    Brein hielt sich an der Tischplatte fest.
    »Ja«, sagte er, »ich werde Ihnen erzählen, wie es war, denn ich habe diese vielen Gerüchte satt, dass ich ein Serienmörder oder noch Schlimmeres sei, was die Zeitungen schreiben kennt ja keine Grenzen. Ich fuhr also ohne Sinn und Zweck umher. Ich hatte nichts geplant, es war einfach ein schwacher Moment. Ich war an Solberglia vorbeigefahren, ich hatte den Wald erreicht, es war ganz still. Keine Menschen, keine Autos, nur grüne Felder. Es gibt wenig Verkehr auf dieser Straße, ich kam an zwei Höfen und ein paar Häusern vorbei, aber ansonsten hatte ich das Gefühl, allein zu sein, und ich meine, allein auf der ganzen Welt. Sie wissen, wer anders ist, ist auch einsam. Immer. Ich fuhr ziemlich langsam und ich dachte daran, dass die Landschaft so schön ist. Sie glauben vielleicht, dass Leute wie ich für so etwas keinen Sinn haben, dass wir nur einen Gedanken im Kopf haben, aber so ist das nicht.«
    »Sie sollten mich nicht unterschätzen«, sagte Sejer.
    Brein schaute mit einem plötzlichen Lächeln auf. Das Lächeln ließ seine Augen leuchten und seine Züge weich werden, für einen Moment sah Sejer, dass Brein eine andere Seite hatte. Eine, die auf ein Kind anziehend wirken konnte.
    »Ich entdeckte einen kleinen Jungen in roten Shorts«, sagte Brein jetzt. »Er ging mit einem Stock in der Hand auf der rechten Straßenseite. Mir kam ein wilder Gedanke, dass dieser Junge für mich sei, dass die Vorsehung ihn geschickt hätte, und dass ich endlich das bekommen würde, was ich mir mein Leben lang gewünscht hatte. Zuerst fiel mir auf, wie dünn er war, fast zerbrechlich, wie ein Zuckerfaden. Wir waren unten in einer tiefen Senke. Als er den Wagen hörte, blieb er stehen und ging ein Stück zur Seite, und er starrte mich mit großen, blauen Augen an. Sie wissen

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