Wer anders liebt (German Edition)
hatte. Er bestellte Brenner zu sich, und der erschien zum angegebenen Zeitpunkt. In seinem Halsausschnitt sah Sejer einen cremefarbenen Hemdkragen und einen glänzenden, weinroten Schlipsknoten. Brenner war einer, der sich in seiner eigenen Vortrefflichkeit sonnte, er war, anders als Brein, absolut etwas fürs Auge, und das wusste er auch. Er war außerdem entwaffnend ehrlich, als das Gespräch auf Edwin kam.
»Ich mache mir nichts aus Kindern«, sagte er, »das sage ich ganz offen. Sie sind unberechenbar, und das kann ich nicht ausstehen.«
»Sie wollen also die Kontrolle haben?«, fragte Sejer.
»Am Spielfeldrand habe ich mich noch nie wohlgefühlt.«
»Und wenn Edwin im Zimmer war, standen Sie dann dort?«
Brenner lächelte herablassend.
»Ich halte Vorträge«, sagte er. »Ich bin an Publikum gewöhnt. Ich rede und die Leute hören zu, sie sind total konzentriert. Und jetzt ist natürlich auch Tulla da, die hab ich auch schon in der Tasche.«
»Kann es sein«, sagte Sejer, »dass Ihre Tasche ziemlich voll ist?«
Für einen Moment wurde Brenner ernst.
»Das geht Sie jedenfalls nichts an.«
»Mag sein«, sagte Sejer. »Aber wir machen unsere Beobachtungen und ziehen unsere Schlüsse.«
»Sie müssen das, was Edwin passiert ist, davon trennen, dass meine früheren Freundinnen mich großzügig beschenkt haben«, sagte Brenner. »Verschmähte Frauen würden einen glatt an den Galgen schicken, wenn sie nur könnten.«
»Das Gericht war von dieser Version nicht überzeugt«, sagte Sejer, »und ich bin es auch nicht. Aber erzählen Sie mir, wie Sie über die Sache mit Edwin denken. Was glauben Sie, was passiert ist?«
Jetzt wurde Brenner ernst.
»Das liegt wohl auf der Hand«, sagte er, »und Sie müssen meine Offenheit entschuldigen. Tulla habe ich das natürlich nicht gesagt, aber wie Sie bin ich davon überzeugt, dass jemand Edwin in ein Auto gezogen hat und mit ihm in den Wald gefahren ist. Dort wurde der Junge missbraucht und danach erwürgt. Oder mit einem Stein erschlagen oder was weiß ich. Und dann wurde er in einen See geworfen oder vielleicht vergraben. Es ist töricht, zu spekulieren, dass er vielleicht noch am Leben ist, dieses Spiel will ich nicht mitspielen.«
»Sie mögen keine Kinder. Aber Edwin mögen Sie doch?«
»Sagen wir es so, dass ich mich an ihn gewöhnt habe«, sagte Brenner. »Ich bin daran gewöhnt, dass er immer etwas im Mund haben muss, dass er immer bettelt. Ich bin daran gewöhnt, dass er mich nicht leiden kann, er glaubt, ein Monopol auf Tulla zu haben, und das ist natürlich falsch. Und die Beziehung zwischen den beiden hat ihn so werden lassen, wie er ist.«
»Wie ist er?«
»Naja«, Brenner zögerte, »er ist wie ein Schmalzkringel, der immer weiter wächst.«
»Haben Sie überlegt, zu Tulla zu ziehen?«
»Das habe ich.«
»Warum ist nichts daraus geworden?«
»Ich habe keine Lust, mich mit dem Problem Edwin zu befassen.«
»Sie betrachten ihn also als Problem?«
Brenner hob eine Hand, um seinen Schlipsknoten zu kontrollieren.
»Er ist zehn Jahre alt und wiegt fast neunzig Kilo«, sagte er. »Kann man das irgendwie anders sehen?«
Ein erbarmungsloser Winter wütete in den südöstlichen Landesteilen, es war nicht allzu kalt, aber es gab Unmengen von Schnee. Der war schwer und feucht und löste ein Verkehrschaos aus, die Menschen rackerten sich mit Schaufeln ab. Als der Schneefall endlich aufhörte und der Himmel blau wurde, kam die Kälte, die einen Monat lang anhalten sollte. Die Menschen sahen die riesigen Schneehaufen verärgert an, das schmilzt doch nie, dachten sie, aber dann kam der April und plötzlich wurde es warm. Die Leute stürzten aus den Häusern, sie sehnten sich nach Licht und Wärme und Luft. Zarte Träume entstanden. Vielleicht, dachten die Menschen, ist das Leben doch lebenswert.
An einem dieser milden Tage fuhr Sejer abermals zu Tulla Åsalid. Er fuhr auf den Hofplatz und registrierte, dass das Küchenfenster offen stand, und als er aus dem Wagen stieg, hörte er ein perlendes Lachen. Verwirrt blieb er stehen und lauschte, aber jetzt hörte er nur noch den Wind, der in den Baumwipfeln spielte. Wie konnte sie auf diese Weise lachen, wo sie ihr Liebstes verloren hatte? Oder war jetzt Ingemar ihr Liebstes, war sie »verdreht«, wie ihre Eltern es ausgedrückt hatten? Er stieg die Treppe hoch und klingelte, und es dauerte einige Zeit, bis sie öffnete. Sie bat als Erstes um Entschuldigung, sie habe telefoniert.
Sejer brachte sein Anliegen
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