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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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verkaufen. Ingemar wird mir helfen, er sagt, ich sollte das Geld anlegen, er kann das für mich übernehmen, und darüber bin ich froh. Ich habe keine Ahnung von Geld und Anlagen, davon, was sich lohnt, und da ist es gut, dass er mir das abnimmt. Vor Kurzem ist etwas passiert, das mich einfach umgeworfen hat. Es kam ein Anruf. Ich habe nicht freundlich reagiert, sondern entsetzt. Elfrid Løwe rief an, sie wollte sich mit mir treffen. Ich konnte nicht verhindern, dass ich wütend wurde, sie geht ganz selbstverständlich davon aus, dass Edwin tot ist und dass wir etwas haben, worüber wir sprechen können, eine Gemeinsamkeit. Ich schrie, sie solle mich in Ruhe lassen, und dann habe ich den Hörer auf die Gabel geknallt und stand noch lange da und zitterte wie Espenlaub. Danach bin ich einfach zusammengebrochen. Weil ich sie so schlecht behandelt hatte. Irgendwann werde ich mich bei ihr melden und um Entschuldigung bitten. Aber ich fand es doch ganz schön frech, es weiß schließlich niemand mit Sicherheit, was Edwin passiert ist. Es sind schon früher Kinder verschwunden und wieder aufgetaucht, ich darf die Hoffnung nicht aufgeben. Dann klingelte es eines Tages an der Tür, das ist jetzt eine Weile her, es waren Sindre und Sverre und Isak und einige Mädchen aus Edwins Klasse, ich weiß ihre Namen nicht mehr. Sie hatten eine Art Buch mit Zeichnungen und Grüßen gemacht, die Blätter waren gelocht und mit einem roten Band zusammengebunden. Natürlich hatte Meyer ihnen befohlen, Mitleid zu zeigen. Ich konnte mich nicht sonderlich bewegt zeigen, ich bin nämlich unsicher, wie nett sie eigentlich zu ihm waren, so im Alltag. Ich warte noch immer auf ihn, ich warte jede Minute, ich warte, wenn ich im Bett liege, ich warte, wenn ich koche, in Gedanken höre ich meine eigene Stimme verzweifelt nach Edwin rufen. Ich bin sicher, dass er bald die Straße hochkommen wird, in seinem watschelnden Gang. Immer wieder schaue ich aus dem Fenster, die ganze Zeit horche ich auf Schritte oder auf das Schlagen der Tür. Wenn ich auf der Straße ein Auto höre, schnappe ich nach Luft, denn es kann doch die Polizei sein, oder der Pastor. Ich will den Pastor nicht an der Tür haben, ich weiß nicht, was ich tue, wenn er kommt. Früher war ich oft unterwegs, jetzt bleibe ich meistens zu Hause, ich kann einfach keine Menschen treffen. Sie sehen mich mitleidig an, oder sie machen einen Bogen um mich, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Wenn sie es wenigstens wagten, mir entgegenzukommen! Die Arme um mich zu legen und mich zu trösten, wie geht es dir, ist es schwer, kann ich etwas tun? Aber die Leute haben solche Angst vor Gefühlen, davor, dass ich vielleicht in Tränen ausbreche, dass sie ratlos stehen bleiben. Ich hätte lieber ein Grab als diese Ungewissheit. So wie es jetzt ist, kann ich nichts für ihn tun, das Gefühl von Ohnmacht ist überwältigend. Alles ist nur Trauer und Verzweiflung und Schuldgefühle, alles ist Leere und Schmerz. Was ist das für ein Leben? Ich habe ja Ingemar, aber der kann mir Edwin nicht zurückbringen. Trotzdem ist er der Einzige, bei dem ich für ein paar Sekunden vergessen kann, der Einzige, der mich zum Lachen bringt. Danach bin ich dann total entsetzt, weil das passieren konnte. Als ob ich Edwin aufs Schlimmste verraten hätte, weil ich glücklich war.«
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    Sejer saß oft über seine Unterlagen gebeugt und las.
    An der Wand, rechts vom Schreibtisch, hing Edwins Bild als dauernde Ermahnung, und es kam vor, dass Sejer hochblickte und die drängenden Fragen formulierte: Was ist aus dir geworden, was ist passiert? Er suchte Alex Meyer auf. Meyer gab offen zu, dass Edwin ihn oft besucht hatte, manchmal zusammen mit Sindre, oder mit Sverre und Isak. Meyers Blick war fest, es war der Blick eines Mannes, der Selbstvertrauen und ein reines Gewissen hat. Er erzählte von seiner Klasse und von dem, was die Kinder durchmachten, von Schülern, die nachts nicht schlafen konnten. Eltern hatten von Fällen von Bettnässen berichtet. Wir werden das ganze Ausmaß nie erfassen können, sagte Meyer, allen Kindern fällt es schrecklich schwer, zur Ruhe zu kommen.
    Sejer konzentrierte sich auf etwas anderes, er vertiefte sich in Ingemar Brenners Schwindelgeschichten, Brenner war der Einzige in Edwins Nähe, der eine kriminelle Vergangenheit hatte. Der Mann besaß ein zweifelhaftes Talent, aber von finanziellen Problemen bis zum Töten eines Kindes war es ein weiter Schritt. Falls Edwin ihm nicht im Weg gestanden

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